Rezension der Einführung in die chinesische Philosophie aus der Feder des Sinologen Richard Wilhelm (1873 – 1930).
Eigentlich hatte man ihn als Priestermissionar nach China geschickt. Aber Richard Wilhelm nutzte die 20 Jahre, die er in Quingdao (Tsingtau) verbrachte, um sich ein tiefes Verständnis für die chinesische Kultur anzueignen. 1924 wurde für ihn der erste deutsche Lehrstuhl in Sinologie eingerichtet. „Es ist mir ein Trost, dass ich als Missionar keinen Chinesen bekehrt habe.“ , ist als authentische Aussage von ihm überliefert.¹
Das vorliegende Buch hat Richard Wilhelm im Jahr 1928 verfasst, nachdem er zuvor mehrere grundlegende Werke Chinas wie das Buch „I Ging“, die „Gespräche“ des Kungfutse und „das Buch vom Sinn und Leben“ (Tao-te-king) von Laotse mit viel Einfühlungsvermögen aus dem Chinesischen ins Deutsche übersetzt hatte. Wie er im Vorwort schreibt, war es sein Anliegen, eine für Jedermann verständliche Einführung in die Chinesische Philosophie zu verfassen, die auf den Originalschriften beruht, aktuelle Literatur über China mit berücksichtigt und die Darstellung auch auf die neue chinesische Philosophie mit auszudehnen. In sieben Kapiteln schreitet er Schritt für Schritt von den Urzeiten magischen Denkens über die Entstehung des philosophischen Denkens in den beiden großen Lehrern Konfuzius und Laotse bis zu den verschiedenen späteren philosophischen Schulen und der Entwicklung in der Neuzeit voran.
Die Erfahrung des Tao im mystischen Einheitserleben
Der wohl zentralste Begriff der gesamten chinesischen Philosophie ist das TAO (sprich: dao), dessen Bedeutungssinn aber im Laufe einer über 2000-jährigen Geschichte viele Wandlungen durchgemacht hat:
Wir sehen die Auffassung eines durchgehenden kosmischen Gesetzes, das von den Bahnen der Gestirne, die es bildlich darstellen, den Namen „Bahn des Himmels“ (Tao = Sinn, Gesetz) erhalten hat, der in der späteren chinesischen Philosophie eine so große Rolle spielt.“²
Das Wort bedeutet ursprünglich „Weg“, „Bahn“, aber nicht wie die anderen Worte „Tu“ oder „Lu“ den Weg als durch den Gebrauch entstandene Straße; es ist vielmehr zusammengesetzt aus dem Zeichen „Kopf, Haupt“ und „gehen“, deutet also die Richtung, den „Sinn“ der Bewegung an.³
Für den etwa 550 vor Christus geborenen Laotse ist das TAO „ein unmittelbares Erlebnis“, „die mystische Versenkung in einen Zustand, der jenseits des rationalen Erkennens liegt“, etwas „schlechthin Transzendentes“. Aber dieses transzendente TAO nimmt auch im Menschen selbst eine immanente Form an: „Das Tao in seiner individuellen Form als inneres Wesen ders Menschen heißt im Taoteking „TE“ (sprich De), die „Art“, das „Leben“, das „Wesen“. Wer nicht sein Leben sucht, der hat Leben; denn das Leben des Tao ist sein Leben. Wer aber sein Leben zu wahren strebt, der verliert es, weil er sich dadurch vom Tao entfernt.“4
Wenngleich der Wortlaut dieser Sätze fast biblisch anmutet, so zeigt doch die Konsequenz, die für Laotse aus dieser Auffassung entsteht, den großen Unterschied in den Denkweisen auf: Laotse sieht „die einzige Rettung aus der Not der Zeit darin, dass man den Weg der Kultur wieder rückwärts geht, dass man sich der Natur wieder zuwendet. … So mündet seine Theorie, die vom mystischen Erleben ausgeht, in einer vernichtenden Kritik an aller Kultur und Zivilisation.“5
Die vielen Schulen und Strömungen, die auf die Lehre des Laotse zurück gehen, werden mit dem Sammelbegriff „Taoismus“ bezeichnet.
Der Edle und die Gütigkeit – zwei zentrale Begriffe in der Lehre des Konfuzius
Folgt man den Erläuterungen von Richard Wilhelm, so ist das Neue an der Lehre des Konfuzius, dass der Blick von der hervorstechenden Person des „Heiligen“ sich wendet zu dem „Edlen“. Dieser ist nun nicht mehr nur der aristokratische Edelmann, sondern ein jeder Bürger kann so ein „Edler“ werden, wenn er sich geziemend um die wesentlichen Tugenden im Leben bemüht. „So vollzieht Konfuzius eine Reorganisation des Adels. Aus dem Geburtsadel leitet er über zum Geistesadel. Und dieser Adel hat in China durch alle Jahrhunderte hindurch seine Stellung gewahrt.“ 6
Wie man an der folgenden Beschreibung sehen kann, ist es das Bestreben des Konfuzius, einen „altruistischen Aristokratismus“ zur Entfaltung zu bringen.
Die wichtigste und beste der Tugenden ist die „Gütigkeit“ – man kann das chinesische Wort „Jen“ auch mit „Menschlichkeit“ übersetzen. Dieser wichtige Begriff soll hier noch einmal anhand eines Textzitats charakterisiert werden:
Die Gütigkeit ist ein Ideal, das schwer zu erreichen ist. … Sie wird erreicht durch die Pflege zweier Richtungen in den Gedanken: das zentrale Denken (Dschung) und die altruistische Gesinnung (Schu). Das zentrale Denken ist die Treue, die Gewissenhaftigkeit, Beständigkeit, kurz die Konsequenz des innerlichen Erlebens. Auf den Nächsten übertragen ist es die altruistische Gesinnung, die den Nächsten ansieht wie sich selbst und daher von sich auf den Nächsten und seine Bedürfnisse zu schließen vermag. 6
Konfuzius und Laotse waren Zeitgenossen und es gibt eine relativ glaubwürdige Erzählung darüber, wie sie sich einmal persönlich begegnet sind. Beide hinterlassen wichtige Werke und bedeutende Schüler. Außer diesen beiden großen philosophischen Schulen gibt es später noch bedeutende Rechtsgelehrte und die sogenannten Dialektiker. Jede dieser Richtungen betont wieder einen speziellen Aspekt aus den zentralen philosophischen Gedanken. Ab und zu erhebt sich auch eine Art „Gegenrichtung“ oder ein spezieller Gedanke wie der einer „agnostischen Religion“. Dabei handelt es sich darum, dass eine sehr große Betonung auf das richtige Durchführen der Riten und des Ahnenkultes gelegt wird, während gleichzeitig eine bewusste Skepsis gegenüber jenseitigen Fragen wie das Leben der Seele nach dem Tode gepflegt wurde.
Richard Wilhelm beziffert das Ende des chinesischen Altertums auf circa 200 vor Christus. Das chinesische Mittelalter ist geprägt von der Philosophie des Buddhismus, des Weiterem dem Wiederaufleben der Lehren des Konfuzius im „Neokonfuzianismus“ und weiteren, sich in regsamen Diskussionen austauschenden philosophischen Schulen und Strömungen.
In einem letzten Kapitel wirft der Autor einen Blick auf neuzeitliche philosophische Strömungen in China, wobei er auch den Einfluss der missionierenden Kirchen erwähnt: „Es ist begreiflich, dass der Reformer Kang Yu We,…den Konfuzianismus dadurch zu retten suchte, dass er ihn zur Staatskirche in China machen wollte, ein Versuch, der durch die Revolution gescheitert ist.“ S.120 Heute sei jedoch der „Kampf der Weltanschauungen“ auch in China ausgebrochen, da die eindringenden westlichen Ideen die „Stabilität des chinesischen Weltbildes“ erschüttert hätten.7
Ein Literaturverzeichnis, eine Zeittafel und ein Namenverzeichnis komplettieren dieses Werk, das allen china-interessierten Personen sehr zu empfehlen ist. China spielt heute eine große Rolle im Weltgeschehen als Wirtschaftsmacht. Doch gerade, wenn man einen Blick auf die wesentlichen philosophischen Gedanken der chinesischen Geschichte wirft, wird man auch das politische und wirtschaftliche Handeln Chinas besser nachvollziehen können. Ein durchaus zeitaktuelles Werk also. Schade nur, dass es teilweise bereits vergriffen ist
Spiritueller Wert 2/5
Praktischer Wert 5/5
Richard Wilhelm, Chinesische Philosophie, Eine Einführung, Hardcover, 144 Seiten, matrix-Verlag 2012, ISBN 978-3865391414
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(1) https://de.wikipedia.org/wiki/Richard_Wilhelm
(2) S.15
(3) S. 28
(4) S. 30
(5) S. 31
(6) S. 36
(7) S.120
Bildnachweis (21-06-07): Amazon