Rezension des Yoga-Standardwerks aus dem Jahr 1959, in der 9. Auflage von 2001, von Swami Vishnudevananda, dem Begründer der Sivananda Yoga Vedanta Zentren.
Das große illustrierte Yogabuch, ein Evergreen
Wieso ein Buch rezensieren, dass vor nun genau 60 Jahren auf dem – englischen – Büchermarkt erschienen ist (Die deutsche Erstauflage war im Jahr 1975)? – So wirst du dich als Besucher dieser Webseite womöglich fragen. Es lohnt sich aber durchaus, einen Blick auf dieses Werk zu richten. Zusammen mit dem Buch Licht auf Yoga von B.K.S. Iyengar und dem Buch Yoga für Menschen von heute von Andre van Lysebeth zählt es zu den großen Standardwerken im Yoga. Diese Bücher sind sozusagen die Evergreens des Yoga, die Werke, die nie aus der Mode kommen und nie an Aktualität verlieren.
Über Swami Vishnudevananda habe ich mich bereits in einer extra Biographie geäußert. So möchte ich direkt zum Inhalt des Buches übergehen. Der Hauptteil wird von der Darstellung von über 150 Yoga-Positionen in großen Schwarz-Weiß-Fotos gebildet. Abgebildet ist der 32-jährige Vishnudevananda selbst. Er beschreibt dazu die Ausführung der Übungen und gibt spezielle Hinweise wie zum Beispiel zur angemessenen Wiederholung der Übungen oder zu ihrer Wirkung.
Diesem Asana-Teil gehen einige hinführende Kapitel voraus, über die Philosophie des Yoga, die verschiedenen „Körper“ des Menschen (der Yoga unterscheidet den grobstofflichen von mehreren feinstofflichen Körpern), über yogische Reinigungspraktiken und schließlich eine Stellungnahme zum Unterschied zwischen der Yoga-Methode und den modernen Sportarten. Nicht selten greift der Autor zu anschaulichen Beispielen aus der modernen Lebenswelt. So vergleicht er des öfteren den menschlichen Körper mit einem Auto. Interessant ist seine Definition von Gesundheit in diesem Abschnitt:
Gut entwickelte Muskeln sind nicht identisch mit Gesundheit, wie meistens angenommen wird; Gesundheit ist vielmehr ein Zustand, in dem alle Körperorgane richtig und unter der Kontrolle des Geistes funktionieren. (S. 59)
Die fünf Säulen des Yoga nach Vishnudevananda
Das große illustrierte Yogabuch folgt in etwa den fünf Prinzipien, die Swami Vishnudevananda später in seinen Zentren lehrte: richtige Übungen, richtige Entspannung, richtige Ernährung, richtige Atmung und positives Denken und Meditaton.
Zusätzlich zur körperlichen Entspannung weist der Autor auf die geistig-mentale Entspannung durch Konzentration auf das Atmen und auf die spirituelle Entspannung durch die Identifikation mit dem Höheren Selbst hin.
Das Kapitel über Ernährung ist relativ ausführlich und es wird zum Beispiel die Einteilung der Nahrung in „sattva-artige“, das heißt reine Nahrungsmittel, und weiterhin „rajas-artige“, anregende sowie „tamas-artige“ abstumpfende Produkte oder auch Art und Weisen der Ernährung dargelegt. Eine kleine kritische Anmerkung möchte ich lediglich in diesem Zusammenhang anführen.Natürlich ist es außerordentlich sinnvoll, sich ohne Alkohol- und Tabakkonsum im Leben zu bewegen. Genauso würde es bestimmt vielen Menschen guttun, wenn sie den Wert gezielter Fastentage für sich entdecken würden. Mir scheint aber, dass man diese Dinge in der gegenwärtigen Zeit nicht als Forderung stellen kann. Zu weit ist in der Hinsicht der Materialismus mit alllen seinen Konsequenzen fortgeschritten und man wird wohl in vielen Fällen gewisse Abhängigkeiten und Schwächen akzeptieren müssen.
Natürliche Ernährung ohne Dogmen
Doch es ist der Autor selbst, der gewisse von ihm aufgestellte Forderungen zur Ernährung in einer einfachen Summenformel wieder revidiert. In wenigen Worten fasst der Autor das Grundprinzip der Ernährung für den Yoga-Schüler zusammen:
Für Yoga-Schüler ist es weder notwendig noch wünschenswert, dass sie nun zu Nahrungsfanatikern werden, die jeden Bissen wägen, messen und analysieren; es genügt völlig, sich einfach möglichst natürliche Nahrung zu beschaffen. Es ist ein schöner Gedanke zu wissen, dass die Natur von wunderbarer Weisheit ist, weil sie die unendliche Weisheit der Schöpfung repräsentiert.
Der Abschnitt über Pranayama ist sehr informativ und sachkundig. Der Leser bekommt einen Eindruck über die Natur des prāṇa, des Weiteren über die Bedeutung, die Ausführung und auch die Gefahren, die mit der Praxis von Atemübungen einhergehen. Grundlegende Atemübungen werden genau beschrieben. Gerade in diesem Kapitel weist der Autor aber auch verstärkt darauf hin, dass die Atemübungen in Verbindung mit einer spirituellen Entwicklung geübt werden sollten und dass diese spirituelle Entwicklung individuell sehr unterschiedlich voranschreitet. Manchmal sind dementsprechend viele Jahre nötig, in denen man in den Übungen (scheinbar) keine oder kaum Fortschritte macht, während im Inneren aber die Persönlichkeit reift.
Positives Denken und Meditation als Ziel des Yoga
In vier letzten Kapitel befasst sich Das große illustrierte Yogabuch schließlich direkt mit dem geistigen Aspekt der Yoga-Übungsweise. Diese Kapitel zeigen noch einmal die Qualität des Buches auf, indem jemand, der den traditionellen Yoga bis zur Stufe der Einweihung erlernt hat, diese Kenntnisse nun in möglichst einfachen Worten an den Leser westlicher Herkunft vermittelt. Vishnudevananda erklärt, was der Astralkörper ist, er erläutert den indischen Evolutionsgedanken und die Beziehung von Geist (brahman) und Materie (prakriti). Zuletzt geht er auf die Idee des Höheren Selbst ein und auf die Vorstellung, dass die Seele des Menschen den irdischen Tod überdauert.
Gerade diese abschließenden Kapitel geben dem modernen Yoga-Interessierten eine sehr gute Grundlage für seine Praxis. Jeder kann sich selbst entscheiden, in welchem Maße man Yoga rein zur Entspannung oder zum physo-psychischen Wohlbefinden praktizieren möchte oder inwieweit man einen seelisch-geistigen Entwicklungsweg damit aufsuchen möchte. Damit man aber diese Unterscheidung überhaupt treffen kann, braucht man zuerst einige Grundkenntnisse darüber, worum es sich beim Yoga als ganzheitliche Methode überhaupt handelt. Mit den Worten von Swami Vishnudevananda wird die umfangreiche und komplizierte Philosophie des Yoga auf anschauliche und lebensnahe Weise dargelegt.
Aus diesem Grunde ist Das große illustrierte Yogabuch gerade auch wegen der zusätzlichen Inhalte von großem Wert. Die vielen Asana-Abbildungen sind in ihrer Natürlichkeit und Präzision zudem eine wertvolle Anregung für Yogaschüler wie für Yogalehrer. Eine praktische Hilfe ist auch die Liste von Übungstabellen am Schluss des Buches, gegliedert nach bestimmten Lebensaltern und Übungsstadien. Das Buch ist deshalb jedem Yoga-Interessierten bestens zu empfehlen. Die Inhalte sind unabhängig von den verschiedenen modernen Yogastilen für jedermann gültig. So werden auch einige wenige, aber grundlegend bedeutende Sanskrit-Begriffe auf einache und nachvollziehbare Art erklärt.
Spiritueller Wert 5/5
Praktischer Wert 5/5
Swami Vishnudevananda, Das große illustrierte Yogabuch, Taschenbuch, 404 Seiten, Aurum Verlag, 17. Auflage 2014, ISBN 9783899011838
Das Buch ist online erhältlich bei derbuchhaendler.at, Amazon.at, Thalia.at.
Bildquellen (19-03-27): Beitragsbild-Amazon, Swami Vishnudevananda-sivananda.org, Astralkörper-Bild von Okan Caliskan auf pixabay