Rezension des Büchleins über die Spiritualität eines esoterischen Christen im 20. Jahrhundert.
Der Autor dieses kleinen Büchleins, Peter Selg, ist anthroposophischer Arzt und Professor für medizinische Anthropologie an der der Alanus Hochschule für Kunst und Gesellschaft sowie an der Universität Witten/Herdecke. Im Laufe seines Berufslebens hat er sich intensiv mit bedeutenden Persönlichkeiten wie Rudolf Steiner, Ita Wegmann und eben auch Karl König, den Begründer der Camphill-Gemeinschaften auseinandergesetzt. Aus dieser vertiefenden Arbeit sind zahlreiche Buchpublikationen hervorgegangen.
Karl König und die Heilpädagogik
Karl König (1902 – 1966) dürfte wohl all jenen Personen ein Begriff sein, die mit Menschen mit Behinderung arbeiten und ganzheitliche Zugänge zu ihrer Berufstätigkeit suchen. Über die Bekanntschaft mit Ita Wegmann kam er als junger Wiener Kinderarzt zur Anthroposophie und entwickelte in den folgenden Jahren ein Konzept für eine eigene heilpädagogische Einrichtung, die sich aus dem Menschenbild der Anthroposophie heraus gründen sollte. Da er jüdischer Abstammung war, musste er 1939 aus Wien fliehen und kam nach Schottland. In dem schottischen Dorf Camphill ist dann ab 1940 die erste Wohn-, Lebens-und Arbeitsgemeinschaft für Menschen mit Behinderung entstanden. Karl König konnte auch viele Kinder und junge Menschen mit Behinderung aufnehmen, die vor den Euthanasie-Programmen der Nationalsozialisten in Sicherheit gebracht werden mussten.
Der Inhalt des vorliegenden Buches konzentriert sich jedoch auf die innere Lebenssituation von Karl König, die der Nachwelt aus teilweise erhaltenen Tagebuchnotizen überliefert ist. In fünf Kapiteln schildert der Autor Peter Selg anhand vieler Zitate „die ringende Existenz, den inneren Pfad, die geistige Arbeit, die Spiritualität Camphills und die Erkenntnis und Förderung der Kinder“, wie sie Karl König intensiv reflektiert hat.
Da ich persönlich mehr mit der indischen Spiritualität, wie sie sich im traditionellen Yogapfad zeigt, vertraut bin, ist es einmal interessant, den Weg eines „esoterischen Christen“, wie sich Karl König wohl selbst verstanden hat, nachzuvollziehen. Wenn er auch als Jude geboren, dann zur Anthroposophie gelangt und schließlich eine Frau, Tilla Maasberg, aus der Herrnhuter Brüdergemeinde geheiratet hat, so fließen diese Einflüsse im Inneren von Karl König als tiefe Bemühung um ein real erlebtes und gelebtes Christsein zusammen, um das er sich täglich bemühte.
Aus diesen Bemühungen entsteht schließlich auch eine spezielle Art der Diagnosefindung und der Untersuchung „seelenpflegebedürftiger Kinder“, wie diese kleinen Menschen mit Behinderung von ihm mit einem erweiterten Begriff genannt werden. Karl König stellte den hohen Anspruch an sich, immer mehr das Karma, d.h. das ursprüngliche Schicksal, eines ihm vorgestellten Kindes wahrnehmen zu können, um von diesem Wissen aus die Therapie in einem umfassend ganzheitlichen Sinn gestalten zu können. Und er notiert darüber:
Den ganzen Vormittag und frühen Nachmittag über halte ich mit den Freunden „Clinic“. Wir sehen jedes einzelne der schon in Helgeseter aufgenommenen Kinder und besprechen ausführlich die notwendigen heilpädagogischen medizinischen Maßnahmen. Es ist wieder eine große Freude, jedes einzelne Kin in seiner Inkarnationsart durchschauen zu können und daraus die notwendige Therapie zu entwickeln. Wir sind gemeinsam begeistert an dem, was wir hier entdecken dürfen.¹
Und zwei Jahre später:
Alle Kinder zeigen, was sie gelernt haben, und es ist sehr aufschlussreich zu sehen, wie noch recht dilettantisch gearbeitet wird. Ich sitze nach dem Mittag mit den Freunden zusammen und bespreche das ausführlich mit ihnen. Die Kinder sind noch nicht auf Herz und Nieren „erkannt“ und deshalb sind sie noch nicht „erlöst“. Mir wird selbst daran wieder unsere spezielle Aufgabe in der Heilpädagogik offenbar: durch Erkenntnis das wahre Wesen des Menschen zu erlösen.²
Dieser hohe Anspruch an sich selbst und an die Arbeit hat jedoch bei Karl König keinen elitären Charakter, was der Autor an einer anderen Stelle noch einmal explizit betont, wenn er schreibt:
Inmitten allen Versagens und Gelingens aber stand bei Karl König bis zuletzt das Erlebnis der Not, des Mitleids und der tiefen Betroffenheit vom Schicksal seines jeweiligen Gegenübers, für das er sich mit der ihm eigenen Unbedingtheit einsetzte – im Geist des Urchristentums und jener Kultur der erkennenden Selbstlosigkeit, die nach Rudolf Steiner der Zukunft angehört.³
Im Sinne der vorhergehenden Rezension „Über die Einheit von Person und Werk“ ist auch das hier vorliegende Buch ein wichtiger Beitrag, um die Person zu verstehen, die hinter dem großen Werk der heute auf der ganzen Welt in über 100 Einrichtungen existierenden Camphill-Gemeinschaften steht. Zu diesem Zweck wäre jedoch ein kurzer biographischer Abriss meines Erachtens noch sinnvoll gewesen, damit der Leser die zitierten inneren Erfahrungen Karl Königs besser in einen äußeren Rahmen einordnen kann. Alles in allem handelt es sich jedoch um ein sehr empfehlenswertes Buch, nicht nur für Personen, die mit Menschen mit Behinderung arbeiten, sondern auch für diejenigen, die einen spirituellen Pfad beschreiten und offen für Erfahrungen anderer Menschen sind.
Eine Einleitung des Autors und zahlreiche ausführliche Anmerkungen ergänzen das Buch.
Spiritueller Wert 5/5
Praktischer Wert 2/5
Seitenverweise:
¹ Tagebuchnotiz vom 30.8.1954, S. 88
² Tagebuchnotiz vom 24.3.1956, S. 89
³ Peter Selg über Karl König, S. 91
Peter Selg, Karl König und die Anthroposophie, Zur Spiritualität eines esoterischen Christen im 20. Jahrhundert, Taschenbuch, 112 Seiten, ISBN 3723512704
Das Buch kann online erstanden werden über: derbuchhaendler.at, Thalia.at, suedwind-buchwelt.at
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