Rezension der Sprüchesammlung des berühmten chinesischen Denkers Kung Fu Tse, in Europa besser bekannt als Konfuzius (551-479 v. Chr).
Wer war Konfuzius?
Konfuzius lebte wie sein Zeitgenosse Laotse in einer Epoche des Niedergangs des jahrtausendealten chinesischen Reiches. Während seiner Ausbildung in den damaligen sechs Künsten Tanz, Musik, Bogenschießen, Wagenlenken, Schreiben und Rechnen interessierte er sich besonders für das Studium der alten Überlieferungen eines sogenannten „Goldenen Zeitalters“.
Sein Anliegen war die Wiederherstellung der moralischen Haltung, die das im Verschwinden begriffene Zeitalter geprägt hatte. Im Unterschied zu dem „Alten“, wie Laotse genannt wurde, wollte Konfuzius diese Werte jedoch durchaus auch auf politischem Gebiete realisieren. Für eine kurze Spanne in seinem 72-jährigen Leben konnte er dies in der Funktion des Justizministers in seinem Heimatstaat Lu umsetzen.
Seine hauptsächliche Bekanntheit und Berühmtheit verdankte er jedoch seiner Rolle als Meister großer Gelehrsamkeit und so geschah es zum ersten Mal in der Geschichte Chinas, dass ein Lehrer eine „private Vereinigung von Lernwilligen“¹ um sich scharte und das weiterzugebende Wissen nicht nur den Abkömmlingen adeliger Familien zuteil wurde.
Der Edle und die sittliche Vollkommenheit
Das vorliegende Buch ist eine Perle mit Sprüchen aus der viel umfangreicheren Sammlung Konfuzius: Gespräche (Lun Yü). Die Übersetzung stammt von Richard Wilhelm (1873 – 1930), dem Priestermissionar, der sich von Beginn seines Aufenthalts in China an der Pflicht zur Missionierung widersetzte und sich vielmehr pädagogischen Studien und eben dem Übersetzen wertvoller Schriften widmete.²
Meister Kung sprach: „Der Edle hütet sich vor dreierlei. In der Jugend, wenn die Lebenskräfte noch nicht gefestigt sind, hütet er sich vor der Sinnlichkeit. Wenn er das Mannesalter erreicht, wo die Lebenskräfte in voller Stärke sind, hütet er sich vor der Streitsucht. Wenn er das Greisenalter erreicht, wo die Lebenskräfte schwinden, hütet er sich vor dem Geiz.“ XV,7³
Dieses Zitat verdeutlicht bereits die Denk- und Redensart des Meisters, wie Konfuzius in dieser Gesprächssammlung genannt wird: Er betrachtet das Leben von der Entwicklung der Lebenskräfte ausgehend. Somit wirkt seine Aussage nicht bloß wie eine schöne, aber in der Essenz doch leere Predigt, sondern sie wirkt sehr konkret und dadurch kraftvoll, an der Anschauung des Lebensgangs orientiert. Ein weiteres Beispiel für die tiefe Kraft und Weisheit, die in den Worten von Konfuzius erfahrbar wird, mag dasjenige über den heute so unmodernen Begriff der Sittlichkeit sein:
Yan Yüan fragte nach (dem Wesen) der Sittlichkeit. Der Meister sprach: „Sich selbst überwinden und sich den Gesetzen der Schönheit zuwenden: dadurch bewirkt man Sittlichkeit. Einen Tag sich selbst überwinden und sich den Gesetzen der Schönheit zuwenden: so würde die ganze Welt sich zur Sittlichkeit kehren. Sittlichkeit zu bewirken, das hängt von uns selbst ab; oder hängt es etwa von den Menschen ab?“ Yän Yüan sprach: „Darf ich um Einzelheiten davon bitten?“ Der Meister sprach: „Was nicht dem Gesetz der Schönheit entspricht, darauf schaue nicht; was nicht dem Gesetz der Schönheit entspricht, darauf höre nicht; was nicht dem Schönheitsideal entspricht, davon rede nicht; was nicht dem Schönheitsideal entspricht, das tue nicht.“ Yan Yüan sprach: „Obwohl meine Kraft nur schwach ist, will ich mich doch bemühen, nach diesem Wort zu handeln.“ XII,1 (4)
Außer den Stichworten Der Edle und Sittliche Vollkommenheit sind die ausgewählten Sprüche noch nach folgenden Begriffen angeordnet: Der Weg der Wahrhaftigkeit, Staat und Regierung, Freundschaft, Kindespflicht, Bildung und Lernen, Glaube, Über Konfuzius.
Chinesische Gelassenheit
Da Konfuzius und Laotse in außerordentlichem Maß die späteren chinesischen Epochen mit ihren Gedanken befruchtet haben, ist es sehr aufschlussreich, nach ihren wesentlichen Werten zu fragen. Die Herausgeberin des vorliegenden Büchleins, Waltraud John, bezeichnet die Sittlichkeit und das Gebot von Maß und Ordnung als den Kern der konfuzianischen Lehre. (5) Somit kann der Leser auch leichter Aussagen moderner Chinakenner begreifen, die im Anliegen chinesischer Politik zum Beispiel eine große „Gelassenheit“ auch heute noch erkennen wollen. Fehlinterpretationen zu den Motiven Chinas und der Chinesen, wie sie aus einer westlich orientierten Weltsicht heraus zwangsläufig entstehen müssen, können somit leichter vermieden werden, siehe dazu:
Es lohnt sich also auch heute noch, sich mit den Sprüchen von Konfuzius zu befassen und in die uralten Weisheiten Chinas einzutauchen. Das Buch ist empfehlenswert für an China interessierte Personen ebenso wie für Personen, die tiefe Gedankeninhalte zur Meditation suchen.
Ein anderes Missverständnis kann sich jedoch leicht herausbilden, wenn man das in den Gesprächen so klare Meister-Schüler-Verhältnis auf heutige Situationen übertragen möchte. Wenn es auch damals seine Ordnung hatte, dass ein Meister zu seinen Schülern sprach, so ist diese Art Rangordnung heutzutage meiner Meinung nach nicht mehr angebracht und ein Lernender wird wohl seinem Lehrer mit einem ebenbürtigen Selbstbewusstsein gegenübertreten, wenn auch die fachlichen Unterschiede in den Kapazitäten respektierend. Die Lektüre eines so alten Textes aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert hat eher einen philosophisch-meditativen als einen praktischen Wert.
Spiritueller Wert 5/5
Praktischer Wert 2/5
Konfuzius, Der Weg der Wahrhaftigkeit, 96 Seiten, Hardcover, Anaconda Verlag 2014, ISBN 978-3730600795
Das Buch ist online erhältlich über Amazon.at, derbuchhaendler.at, Thalia.at.
Zitate und Anmerkungen:
(1) Konfuzius, Der Weg der Wahrhaftigkeit, S. 8
(2) Richard Wilhelm wurde später als Honorarprofesser für Sinologie an den Lehrstuhl für Chinesische Geschichte und Philosophie in Frankfurt berufen (1924 – 1930). Seine Übersetzungen zeichnen sich durch ein tiefes Einfühlungsvermögen und Respekt vor der Chinesischen Kultur aus.
(3) ebd. S. 31
(4) S. 39/40
(5) S. 11
Ganz aktuell gibt es auf youtube ein wissenschaftliches Gespräch zu „Chinas Umgang mit der Corona Krise – sinologisch, politwissenschaftlich und virologisch betrachtet“, eingestellt vom Konfuzius-Institut Nürnberg-Erlangen. Interessant ist, wie im Redestil der drei Professoren (zwei Chinesen, ein Deutscher) die um Ausgleich bemühte Betrachtungsweise des Konfuzius nachklingt: https://www.youtube.com/watch?v=v-LU2QBDZkg