Kungfutse, Gespräche – Lun Yü

Rezension eines der ältesten Bücher der chinesischen Geschichte: Die Sammlung von Aussagen des Kungfutse, lateinisiert im Westen als Konfuzius bekannt.

Dieses Buch darf als ein zeitloser Klassiker der Literatur bezeichnet werden. Richard Wilhelm, der erste deutsche Sinologe, hat es aus dem Chinesischen übertragen und im Jahre 1910 herausgegeben. Ihm zuvor ging die Übersetzung von Schott aus dem Jahr 1826 voraus, die aber „bald in Vergessenheit geraten“ war¹. Die Gespräche des Kungfutse bilden den ersten von acht Bänden chinesischer historischer Literatur, die Richard Wilhelm damals herausgegeben hatte. Wie viele Auflagen das Buch bis zum heutigen Tage erfahren hat, ist aufgrund der Veröffentlichungen in unterschiedlichen Verlagen ganz unüberschaubar, zumal der Text heute, mehr als 100 Jahre nach der Erstauflage, als gemeinfrei gelten dürfte.

Konfuzius, der rückwärts gewandte Menschheitslehrer

Die beiden Zeitgenossen Kungfutse und Laotse lebten zu einer Zeit des Niedergangs der „goldenen Epoche“ der chinesischen Kultur und das Bestreben des Konfuzius war es, durch das Studium der vergangenen Traditionen Wege zu finden, wie dieser Niedergang eine Wende finden könnte. Blickt man auf seinen äußeren Lebenslauf, so hatte er nur für eine sehr kurze Zeit – einige wenige Jahre – die Möglichkeit, als leitender Beamter eines chinesischen Staates seine Führungs- und Regierungskunst zu zeigen. In der Tat ist es ihm damals in kürzester Zeit gelungen, aus den Zuständen der Degeneration und des Chaos eine bürgerliche Ordnung und Wohlstand für jedermann herzustellen. Da aber letztlich kein Regierungsfürst auf lange Zeit mit ihm zusammen arbeiten wollte, widmete sich Konfuzius der Vermittlung der Lehren des Altertums an seine Schüler. Laut den einleitenden Worten von Richard Wilhelm war dies eine völlige Neuheit im damaligen China, dass es eine private Vereinigung von Lernbegierigen um einen Lehrer gab.

Bevor ich mit einigen Zitaten auf den Charakter des Buches verweisen möchte, soll hier ausnahmsweise die Rezension aus der Feder einer anderen Person wiedergegeben werden. Dies ist niemand geringerer als der Dichter Hermann Hesse, der sich damals in „Die Propyläen“ zu dem neuen Werk geäußert hatte.¹

Im ersten Augenblick stehen wir befremdet und beinahe abgeschreckt, wenn wir hören, dass bei Eugen Diederichs in Jena die wichtigsten Dokumente chinesischer Kultur und Religion in zehn Bänden deutsch erscheinen sollen. Wer soll das lesen? Wer soll das verdauen? Müssen wir das nicht den Sinologen überlassen? Denn so froh wir ähnliche Erschließungen, namentlich die der indischen Altertümer, sonst begrüßen, so stehen wir doch eben gerade den Chinesen in vollkommener Fremdheit gegenüber. Wir empfinden alles, was von dort kommt, als fremd, anders, auf einem anderen Rhythmus, ja Lebensgesetz beruhend als unser Sein und Denken.

Der erste Band dieser großen Sammlung, der die Gespräche des Confucius bringt, hat mir diese Stimmung zum Teil bestätigt und bestärkt. Trotzdem zwingt die kluge Bewusstheit und offensichtliche Akkuratesse des Herausgebers dieser Riesenarbeit, des schwäbischen Theologen Wilhelm in Tsingtau, zu Anerkennung und Dankbarkeit. Der Band Confucius beginnt mit einer ganz meisterlichen Einleitung des Übersetzers, dessen Lektüre mehr als ein Genuss ist. Er bringt sodann die „Gespräche“ des großen Chinesen in einer fast durchweg doppelten Übersetzung, einer nahezu wörtlichen und einer paraphrasierend sinngemäßen.

Leicht ist die Lektüre nicht, und immer wieder hat man das Gefühl, eine fremde Luft zu atmen, welche von anderer Art und Zusammensetzung ist als die, die wir zum Leben brauchen. Dennoch bereue ich die mit diesen Gesprächen verbrachten Tage nicht. Berührt uns auch der chinesische Geist wie der Anblick von Erzeugnissen eines fremden Weltkörpers, so tut es doch wohl und ist eine treffliche Übung, einmal mehr als nur oberflächlich da hineinzuschauen. Denn das nötigt uns, unsere eigene, individualistische Kultur auch einmal nicht als selbstverständlich, sondern im Vergleich mit ihrem Widerspiel zu betrachten. Und dabei bleibt es nicht, sondern es entsteht im Lesenden manchmal für Augenblicke die seltsam aufleuchtende Vorstellung der Möglichkeit einer Synthese beider Welten.

Denn als innersten Kern im Wesen des großen Fremdlings Confucius erkennen wir dieselben Eigenschaften, die wir bei den großen Menschen der abendländischen Geschichte längst kennen. Wir empfinden Dinge als natürlich, die uns anfänglich wie groteske Verirrungen erschienen, und finden Dinge reizvoll, ja schön, die uns zuerst abschreckend trocken vorkamen. Und wir Individualisten beneiden diese chinesische Welt um die Sicherheit und Größe ihrer Pädagogik und Systematik, der wir nichts an die Seite zu stellen haben als unsere Kunst und unsere vielleicht größere Bescheidenheit vor der außermenschlichen Natur.

Boden bereiten zum Verständnis Chinas und der Chinesen

Kungfutse - Gespräche (Lun Yü)Diesen treffenden Worten aus der Feder des großen Dichters braucht nichts mehr hinzugefügt werden. Sie sind auch heute noch ganz genauso aktuell. Wenn uns auch das Land China viel näher gerückt ist, so bleibt doch der Eindruck von etwas ganz Fremden. Die Lektüre des Kungfutse kann gerade dieses Fremde in ihren Wurzeln begreiflicher machen. Hier noch ein paar Textbeispiele aus dem Buch:

Buch XIV, 36, Vergeltung

Es sprach jemand: „Durch Güte Unrecht zu vergelten, wie ist das?“ Der Meister sprach: „Womit soll man dann Güte vergelten? Durch Geradheit vergelte man Unrecht, durch Güte vergelte man Güte.“

Buch XII, 3, Sittlichkeit

Si Ma Niu fragte nach dem Wesen der Sittlichkeit. Der Meister sprach: „Der Sittliche ist langsam in seinen Worten.“ Er antwortete: „Langsam in seinen Worten sein: das heißt Sittlichkeit?“ – Der Meister antwortete: „Wer beim Handeln die Schwierigkeiten sieht: kann der in seinen Worten anders als langsam sein?“

Buch VII, 3, Betrübnis über die Unvollkommenheit des Menschen

Der Meister sprach: „Dass Anlagen nicht gepflegt werden, dass Gelerntes nicht besprochen wird, dass man seine Pflicht kennt und nicht davon angezogen wird, dass man Ungutes an sich hat und nicht imstande ist, es zu bessern: das sind Dinge, die mir Schmerz machen.“

Die Beschäftigung mit den Aussagen und dem Leben des Kungfutse sei all jenen empfohlen, die das „Fremde“ im Wesen Chinas und der Chinesen besser nachvollziehen können wollen. Denn die Lehren des Kungfutse haben in China einen äußerst starken Einfluss auf alle nachfolgenden Jahrhunderte bis zum heutigen Tag gehabt. Des Weiteren ist es aber auch eine tiefe Menschenkunde, die sich mit den Worten des Kungfutse vermittelt. Gerade in einer materialistischen Epoche wie die gegenwärtige Zeit sie repräsentiert, ist der Kontrast umso eindrücklicher wahrnehmbar zu einer Kultur, die das Menschsein im Bild eines „edlen Charakters“ zur höchsten Tugend erhebt.

Spiritueller Wert 4/5
Praktischer Wert 2/5

 

Textquelle:

(1) Hermann Hesse, in: Die Propyläen, 7. Jg. 1910, N. 40, S. 637

Das Buch:

Kungfutse, Gespräche – Lun Yü, eine von vielen auf dem Markt erhältlichen Ausgaben: Europäischer Literaturverlag 2015, 120 Seiten, Paperback, ISBN 978-3-95909-019-3

Online kann das Buch zum Beispiel auf folgenden Seiten erworben werden: derbuchhaendler.at, suedwind-buchwelt.at, amazon.at.

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