Rezension der kritischen Betrachtung über „das Böse im Reformator“.
Über dieses Werk wird der Leser gleich mit zwei interessanten Persönlichkeiten näher vertraut. Das ist zum Einen der leider nur sehr wenig bekannte Autor Hubertus Mynarek und zum anderen der, dem das Buch gewidmet ist, Martin Luther. Der heute 92-jährige Theologieprofesser Hubertus Mynarek hat eine ganze Serie von kirchenkritischen Schriften verfasst, nennt aber auch philosophische Werke von einem großen inhaltlichen Spektrum sein eigen. Den Österreichern sollte sein Name eigentlich durchaus bekannt sein, da er in Wien als Theologieprofessor tätig war, als im Jahr 1972 sein Buch über „Herren und Knechte der Kirche“ erschien. Als erster Universitätsprofessor der Theologie im 20. Jahrhundert ist Hubertus Mynarek damals aus der Kirche ausgetreten.
Ist zu Martin Luther noch nicht alles gesagt?
So möchte man vorschnell fragen, nachdem vor drei Jahren mit großem Pompöse an vielerlei Orten das Lutherjahr gefeiert worden ist. Hubertus Mynarek wirft aber nun keinen festlichen, sondern im Gegenteil einen kritischen Blick auf die Gestalt Luthers und hinterfragt dessen Charakter auf seine dunklen, seine „bösen“ Erscheinungen. Wie es scheint, waren dies nicht gerade wenige: Nach einer Schilderung von Luthers Bekehrungserlebnis, widmet sich der Autor der Reihe nach dem Verhältnis, das Luther zum Papst, zu den Bauern, zu den Ketzern, zu den Juden, zu den Frauen, zur Sexualität, zum Staat, zur Vernunft, zur Ethik und schließlich zu Gott selbst hatte. Die Betrachtungen werden im Anhang durch ein Zitat aus den Nürnbergern Prozessen sowie durch Gedanken zur Reformation von Fritz Erik Hoevels ergänzt.
Der Autor hebt ganz besonders das Bekehrungserlebnis Luthers hervor, da es die Grundlage für sein ganzes späteres Denken ist. Er schildert, wie der Mönch Martin Luther mit den nicht zu bezwingenden Begierden kämpft und wie ihn die erniedrigende Praxis des ständig wiederholten Beichtens nach dem „Sündigen“ unbefriedigt lässt. Aus diesem inneren Konflikt scheint die „Erkenntnis“ Luthers hervorgegangen zu sein, dass der Mensch ein vor Gott Gerechtfertigter und ein Sünder zugleich sein kann.
Wie ein Programm, das sich anschließend im Konkreten ausgestaltet, sei diese Erkenntnis für Luther ein Leben lang gewesen. Wie Hubertus Mynarek aufzeigt, hat Luther aus diesem Grund später für sich alle Freiheiten des Urteilens über andere genommen, während er – unlogischerweise – anderen diese Freiheit nicht zugestanden hat. Und so gilt sein erstes Urteil dem Papsttum, das sich schließlich in älteren Jahren bei ihm zu einer Art Besessenheit steigerte. Luther sagte selbst:
„Denn ich kan nicht beten, Ich mus da bey fluchen. Sol ich sagen: Geheiligt werde dein name, mus ich da bey sagen: Verflucht, verdampt, geschendet müsse werden der Papisten namen und aller, die deinen namen lestern. Sol ich sagen: Dein Reich kome, so mus ich da bey sagen: Verflucht, verdampt, verstöret müsse werden das Bapstum sampt allen Reichen auff erden, die deinem reich widder sind. Sol ich sagen: Dein wille geschehe, So mus ich dabey sagen: Verflucht, verdampt, geschendet und zu nichte müssen werden alle gedanken und anschlege der Papisten und aller, die widder deinen willen und rat streben. Warlich, so bete ich alle tage mündlich und mit dem herzen on unterlas …“ (S.9)
Insgesamt geht aus der Lektüre dieses Buches – wie der Titel natürlich bereits vermuten lässt – ein sehr kritisches Lutherbild hervor. Der Autor kritisiert vor allem, dass Luther seine Rechtfertigungslehre nicht konsequent zu Ende gedacht hat und ein neues Kirchensystem errichtet hat. Personen wie Thomas Müntzer seien darin eben viel geradliniger gewesen und so konnte es kommen, dass der revolutionäre Geist Luthers wie ein Zündfunke für die Bauernaufstände gewesen ist, wohingegen er selbst heftig gegen die Bauern und noch mehr gegen Thomas Müntzer selbst wettert. Er rät sogar zur Vernichtung der Bauern:
„Wer einen Aufrührerischen am ersten kann und erwürgen mag, tut recht und wohl. Denn über einen öffentlichen Aufrührerischen ist ein jeglicher Mensch beides, Oberrichter und Scharfrichter. …“ (S. 12)
Die Reformation auf halbem Wege stecken geblieben?
Luther habe sich zwar vom Papsttum losgesagt, aber sich zugleich den Landesfürsten unterworfen, mit folgenschweren Auswirkungen. So zitiert Mynarek aus einer Schrift von Erik H. Erikson, aus dem Jahr 1975:
„Dieses neue Gesicht eines Gottes, der sich im Gebet, in der Heiligen Schrift und in den Entscheidungen des Landesvaters erkennen ließ, wurde für eine neue Klasse und für eine Religiosität, die den neuen merkantilen Fortschrittsbestrebungen entgegenkam, bestimmend. Obwohl er heftiger als irgend jemand sonst auf Ablass und Wucher reagiert hatte, half Luther, die metaphysische Mesalliance zwischen Wirtschaftsegoismus und Kirchenzugehörigkeit vorzubereiten, die für die westliche Welt so kennzeichnend wurde.“ (S. 15)
Ein weiterer Widerspruch in der Person Luthers offenbart sich beim Thema Ketzer und Hexenverfolgung. Denn obwohl Luther selbst in jungen Jahren vom Papst als Ketzer verbannt wurde, geht er später vehement gegen „Ketzer“, wie zum Beispiel die Täuferbewegung damals genannt wurde, vor. Ja, es fällt direkt auf, dass der Höhepunkt der Hexenverfolgungen im deutschen Sprachraum erst in der nachreformatorischen Zeit war. Wohingegen Luther sich nicht zu gut ist, um gegenüber mehreren Fürsten eine Doppelehe, z.B. mit Ehefrau und 17-jähriger Konkubine, offiziell anzuerkennen!
Kirche in der Kritik
Man ahnt es bereits, dass dieses Buch wahre Enthüllungen über die dunkle Seite im Charakter Martin Luthers beinhaltet, die von der offiziellen Geschichtsschreibung und von den evangelischen Theologen allzumeist übergangen werden. Wie sehr es sich bei diesem Buch um ein kirchenkritisches Werk handelt, bestätigt auch Fritz Erik Hoevels im Anhang, wenn er die Reformation folgendermaßen definiert:
„Die Reformation war nichts anderes als die Überführung des Suggestionsapparates (Geistlichkeit, Kultgebäude) aus der feudalen Kontrolle in die bürgerliche Kontrolle.“ (S. 113)
Mehrfach wiederholt Hoevels in seiner Ausführung den Begriff „Suggestionsapparat“ als Synonym für die Kirche. Ich muss sagen, so deutlich ist mir die Einschätzung zur Kirche – der ich persönlich durchaus zustimme – noch nirgends untergekommen. Das Wort gewinnt in Coronazeiten eine unerhörte Bedeutung, wenn man sich die „Klerikalisierung“ vor Augen führt, mit der die Diskussion zu den Corona-Maßnahmen geführt wird. Hat doch der Spiegel tatsächlich kürzlich die Schlagzeile gewählt: „Die Masken sind unsere einzige Hoffnung!“
Somit stößt das Buch von Hubertus Mynarek die systemkritische Frage an: Ist mit der Coronakrise ein „Systemfehler“ an die Oberfläche gekommen, der für alle Welt sichtbar werden lässt, dass eine gesunde Gesellschaft nicht auf „Suggestionsapparaten“ aufbauen kann? Die Lektüre dieses Buches eignet sich folgedessen für kritische Geister, die nach wertvollen Informationen suchen, um die gegenwärtigen Ereignisse im Zusammenhang mit den geschichtlichen Begebenheiten besser einordnen zu können.
Es bleibt noch anzufügen, dass der Inhalt des Buches dennoch nur einen Ausschnitt zur Betrachtung Martin Luthers und der Reformation darstellen kann. Es wäre sicher unvernünftig, nun als Leser seinerseits zu einer „Verdammung“ der ganzen Person überzugehen!
Spiritueller Wert 4/5
Praktischer Wert 2/5
Hubertus Mynarek, Luther ohne Mythos, Das Böse im Reformator, Taschenbuch, 137 Seiten, Ahriman-Verlag 2013, ISBN 9783894846091
Das Buch ist online erhältlich auf Amazon.at, derbuchhaendler.at, Thalia.at.