Das Manipura-cakra und das bija-mantra रं RAM

Audio und Erläuterung zum sogenannten Wurzelmantra RAM, das im dritten Energiezentrum angelegt ist.

Manipura-cakra_yogabound.comNach den Lehren des Kundalini Yoga (1) ist der Beginn der Schöpfung in einer ersten Vibration des bis dahin in sich ruhenden Kosmos zu suchen. Diese erste Vibration, die an allem Anfang steht, kommt in etwa dem physischen Laut OM nahe und deshalb wird das OM als der Urlaut, praṇava, bezeichnet. Im folgenden habe sich die Schöpfung in weiteren Enfaltungsschritten ausdifferenziert, wobei jede Schöpfungsbewegung von einer bestimmten Vibration und somit von einem in der physischen Welt annähernd bestimmbaren Laut begleitet wurde. Die 50 Buchstaben des indischen Sanskrit-Alphabets werden in diesem Sinn als diejenigen auf das OM folgenden Schöpfungslaute interpretiert.

Entsprechend dem makrokosmischen Geschehen wird der Mensch als Mikrokosmos betrachtet, in dessen grob- und feinstofflichen Leibern sich die Schöpfungsgeheimnisse widerspiegeln. So ist die Zone, die das sogenannte dritte Energiezentrum, das maṇipūra-cakra regiert, ein Ausdruck des Buchstaben R, der nach den Regeln der Sanskritsprache als raṁ bezeichnet wird. Dieser philosophische Hintergrund kann die Frage anregen, welcher Charakter mit dem Buchstaben R einhergeht.

RAM als die Vibration des Feuergottes Agni

Aus den Bezügen des Kundalini Yoga ergeben sich mehrere charakteristische Elemente in Verbindung mit RAM. Während beispielsweise OM als Ausdruck des personifizierten Schöpfergottes Brahma angesehen wird, sei RAM der Ausdruck des Feuergottes Agni, also derjenigen feinstofflichen Kraft, die in den Wärmeprozessen beheimatet ist. Tatsächlich befindet sich das maṇipūra-cakra auf der Höhe des Plexus solaris, desjenigen hinter dem Magen gelagerten Nervengeflechts, das mit den aktiven Verdauungsprozessen, mit Magen, Bauchspeicheldrüse und Darm in Verbindung steht. Die aktiven und aufbauenden Stoffwechselprozesse wirken wärmebildend und so kann von den modernen physiologischen Erkenntnissen ein direkter Zusammenhang zu dem feurigen Charakter des maṇipūra-cakra hergestellt werden.

In seelischer Hinsicht sind in dieser Zone die feurigen Leidenschaften zu suchen, welche in der Cakra-Symbolik durch einen Widder dargestellt werden. In der Glut der Leidenschaft verhält sich der Mensch ähnlich wie der Widder, der im leidenschaftlichen Kampfgeist blind zustößt. (2) Der Yogin soll nun auf seinem Entwicklungsweg diese Kraft der Leidenschaft in Zielstrebigkeit, planmäßiges und überlegtes Handeln verwandeln. Dieses ganze im physischen wie im psychischen angelegte feurige Wärmeprinzip drückt sich im rollenden Buchstaben R aus.

Die Rezitation des mantra RAM

Agni_en.wikipedia.org

Agni reitet auf dem Widder.

Ein Mantra kann nach Swami Sivananda (3) nur dann seine volle Wirksamkeit entfalten, wenn es mit einer klaren Bewusstheit zu seinem inneren Bedeutungssinn rezitiert wird. Besonders wichtig wird dies dann, wenn man langsam vom lauten Rezitieren zum flüsternden Wiederholen und schließlich zum rein innerlichen Visualisieren des Lautes übergeht. Eine geeignete Vorstellung zur Wiederholung des Mantra RAM könnte nach all dem Gesagten folgendes Bild sein:

Der Ton RAM schwingt weit im Raum, aber er besitzt ein Zentrum auf Höhe des maṇipūra-cakra. In entsprechender Weise ist das Denken in seiner ursprünglichen Natur kraftvoll, aber rein und fromm, geläutert von den Leidenschaften des Körpers und wendet sich weit hinaus nach hohen und edlen Zielsetzungen für das Leben. (4) Mit anderen Worten: In dem Laut RAM kommt dem Menschen das feurige Wärmeprinzip aus dem Kosmos entgegen. Er kann es erkennen und nutzen, indem er seine Leidenschaften im Feuer der Transformation reinigt und sich edlen Motiven für sein Handeln hingibt.

Wer mit dem Mantra RAM arbeiten möchte, kann sich zum Beispiel anhand der im folgenden genannten Literatur über das maṇipūra-cakra informieren und für einen Zeitraum von 6 Tagen täglich 108mal die Silbe RAM wiederholen, während man kontinuierlich eine immer konkretere Vorstellung zu dem Charakter des cakra aufbaut. Während der Rezitation selbst ist es hilfreich, eine möglichst bildhafte Idee im Bewusstsein zu bewahren, zum Beispiel das feurig-rote Dreieck des maṇipūra-cakra zu visualisieren.

RAM eignet sich auch als begleitender Laut bei der Ausführung der Yogaübung trikoṇāsana, dem Dreieck. Dabei geht es allerdings nicht darum, dass man sich mit der Mantra-Energie auflädt, das wäre viel zu sehr vereinfacht und kann vor allem auf lange Sicht nicht funktionieren. Die tönende Begleitung einer Bewegung erleichtert diese vielmehr, verschönert sie und die Yoga-āsana erhält auf diese Weise einen eleganteren Ausdruck.

Textquellen:

(1) Arthur Avalon, Die Schlangenkraft, Edition Geheimes Wissen 2007, ISBN 978-3902640888, bzw. M.P. Pandit, Kundalini-Yoga, Drei Eichen Verlag 1985, ISBN 978-3769904406 (beide Bücher nur antiquariatisch erhältlich)

(2) Helmtrud Wieland, Das Spektrum des Yoga, Aquamarin Verlag 2006, ISBN 978-3894277369

(3) Swami Sivananda, Japa Yoga, Yoga Vidya Verlag 2017, ISBN 978-3931854256 (keine Info zu den cakra, sondern zur Praxis der Mantra-Rezitation)

(4) Heinz Grill, Die Seelendimension des Yoga, Lammers-Koll-Verlag 2018, ISBN 978-3941995482

Bildquellen (18-05-21):

yogabound.com, en.wikipedia.org

 

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