Suche nach dem Sinn des Lebens, Willigis Jäger

Rezension der Sammlung von Texten aus der Arbeit von dem Benediktinermönch Willigis Jäger.

Der Autor des vorliegenden Buches hat eine außergewöhnliche Biographie aufzuweisen. Der heute 93-Jährige gehört zu den Menschen, denen die Verbindung von östlicher und westlicher Spiritualität ein Anliegen ist, ohne aber ungute Vermischungen zu erzeugen. Während eines sechsjährigen Aufenthalts in Japan hatte er die Zen-Meditation kennen gelernt und sich darin im weiteren Verlauf seines Lebens bis zum Zen-Meister geschult. Schließlich hat er sogar eine eigene Zen-Sukzessionslinie gegründet, die sich die “Wolke des Nichtwissens Willigis Jäger” nennt.

In der Religion, in der er beheimatet ist, dem Katholizismus, interessiert er sich vor allem für die mystischen Pfade. Daran hatte sich die römische Kongregation für Glaubenslehre unter Josef Ratzinger gestoßen und ihm ein Rede-, Schreib- und Auftrittsverbot erteilt. Willigis Jäger löste die Situation, indem er sich von seinem Kloster beurlauben ließ und diese Form der Beurlaubung zeitlebens aufrecht erhielt.

Kenner der mystischen Pfade

Das Buch trägt den Untertitel “Bewusstseinswandel durch den Weg nach innen” und ist in drei Abschnitte gegliedert. Im ersten Abschnitt sind Ausschnitte aus Vorträgen von Willigis Jäger nach Themen geordnet aufgeführt. Der Vortragsstil enthält durchgängig viele Zitate von Mystikern oder Personen, die zu dem jeweiligen Thema bedeutsame Gedanken geäußert haben. Die Themen sind beispielsweise “Suche nach dem Sinn des Lebens”, “Naturwissenschaft und Mystik”, “Transpersonale Erfahrung” und andere.

Samadhi ist das Stadium der inneren Ruhe

In dem Abschnitt über “Psychologische Aspekte des inneren Weges” schildert Willigis Jäger acht unterschiedliche Stufen eines kontemplativen Pfades, wobei er anfügt, dass diese Stufen nicht immer in einer fixen Reihenfolge erlebt werden müssen. Die fünfte Stufe benennt er als Samadhi, als Stadium der Ruhe, und beschreibt sie mit folgenden Worten:

Hier gewinnt die Erfahrung Raum, dass der einzelne Ablauf keinerlei Stütze hat. Nur was momentan ist, wird erfahren; nur Muster in einem Feld, das sich ständig wandelt, werden erkannt, während die eigentliche Mitte, das wahre Selbst, keinem Wandel unterworfen ist. Es laufen nur Impressionen ab, aber keine Inhalte. Das Gewahrwerden verlässt nun die einzelnen Ereignisse und bleibt am Unbeweglichen hängen. Man erkennt, wie die Dinge kommen und gehen. Geborenwerden und Sterben sind aufeinanderfolgende Akte, die zusammengehören wie die Schritte eines Reigens. Teile existieren nur in ihrer Beziehung zu allen anderen Teilen. Es ist wichtig, möglichst lange Zeit in diesem Stadium der Ruhe zu bleiben.”

Kontemplative Erfahrungen kann jede(r) machen

Auch der letzte Teil des Buches mit kurzen Erfahrungsberichten über kontemplative Erlebnisse ist lesenswert. In authentischer Weise vermittelt sich so der Aspekt, dass jeder Mensch kontemplative Erfahrungen machen kann. Damit wird dem Menschen eine Art Würde zugestanden, die ihn freier von hierarchischen Strukturen macht.

Der Autor betont, dass sich kontemplative Erfahrungen völlig unabhängig von einem kirchlichen Kontext ereignen können. Dennoch ist in den Erfahrungsberichten viel von einem “Gott” oder „Herr“ die Rede, wie er eben im christlichen Kontext gedacht wird. Dies mag von einem überwiegend katholischen Klientel herrühren, die den Autor in seinen Kursen und Vorträgen aufgesucht haben.

Willigis Jäger_wikipedia.org

Willigis Jäger hat sich 2007 aus der aktiven Leitung des von ihm errichteten Zentrums “Benediktushof” zurück gezogen. 2010 hat er sieben Personen zu Zen-Meistern in seiner Nachfolge ernannt und 2012 wurde die bereits erwähnte Zen-Linie eingeweiht.

Einführung in die christliche Kontemplation

Das Buch kann dem interessierten Leser als Einführung in die christliche Kontemplation dienen. Dies dürfte auch das wesentliche Anliegen des Autors sein. Die Erfahrungen aus den fernöstlichen Praktiken dienen zum besseren Verständnis der christlichen Traditionen wie das innere Gebet und andere Bemühungen. Oft ist die Begrifflichkeit in den fernöstlichen, japanischen oder indischen Meditationsschulen differenzierter als im Westen, wo die Mystik konsequent von dem Machtapparat der Kirche unterdrückt und zumeist nur ungern geduldet wurde.

Willigis Jäger meint hierzu: “Es wundert nicht, dass Menschen, die einen Weg in die transpersonale Erfahrung suchen, sich ausserhalb der Kirchen ansiedeln und die Mystik auf diese Weise aus dem Christentum auswandert. Es ist kein Geheimnis, dass die Menschen sich nicht zuletzt deshalb aus der Kirche entfernen, weil sie absolut gesetzte theologische Aussagen nicht mehr akzeptieren können.”

Thematisch berührt das Buch alle Aspekte, die mit der Suche nach einem inneren Erfahrungsweg einhergehehn und ist somit eine praktische Handreichung, die für denjenigen, der sich ans regelmäßige Üben macht, auch zu einer spirituellen Vertiefung führen kann. Wohltuend ist die klare Differenzierung zwischen den Zitaten und der Meinung des Autors. Das Werk erhält dadurch trotz der esoterischen Thematik einen klaren und sachlichen Sprachstil.

Spiritueller Wert 3/5

Praktischer Wert 5/5

Willigis Jäger, Suche nach dem Sinn des Lebens, Bewusstseinswandel durch den Weg nach innen, Via Nova Verlag 2016 (Neuauflage im Taschenbuchformat), 416 Seiten, ISBN 978-3866163553

Das Buch ist online erhältlich bei Amazon.at, derbuchhaendler.at, Thalia.at. Auf der Seite von Thalia.at findet sich auch eine 25-seitige Leseprobe.

Bildquellen (18-12-23): Amazon, Wikipedia

2 Kommentare:

  1. Den „Weg nach innen“ gehe ich meditierend schon lange. Aber oft frage ich mich, was es da zu entdecken gibt. Vielleicht ist es doch nur ein Bündel von Erfahrungen und Konditionierungen, die mich geprägt haben, für die ich nichts kann und die allesamt von Außen auf mich eingewirkt haben. Nichts besonderes also, da drinnen. Auch dort bin ich nur ein Teil jener großen Kette von Ursachen und Wirkungen und die unterscheidet kein „Außen“ oder „Innen“. Letztlich gilt: Alles ist Welt.

    • vielleicht ist es bei diesem Thema hilfreich, noch genauer die unterschiedlichen Meditationsformen zu differenzieren: Meiner Erfahrung nach führt der heute am meisten praktizierte „Weg nach innen“, wo man eine Art innerer Leere anstrebt, zu einer sehr profunden Erfahrung von innerer Ruhe. Des Weiteren wären aber noch die Schritte oder Stadien zu nennen, die ich einmal vorsichtig mit „Konzentration“ und „gegenständlicher Meditation“ bezeichnen möchte. Unter „Konzentration“ würde ich die Intensivierung eines gedanklichen Inhalts verstehen, wie sie im klassischen Yoga mit den Symbolen zu den cakra praktiziert wurde. Das wiederholte und intensive Betrachten eines Symbols oder auch eines Naturobjekts kann zu einer tiefen seelischen Bereicherung führen. Und mit „gegenständlicher Meditation“ meine ich die gedankliche Vertiefung in einen Weisheitssatz, wie etwa ein Bibelzitat oder einen Vers aus der Bhagavadgita. Wenn die ausdauernde Arbeit gut gelingt, dass die persönlichen Assoziationen und Interpretationen immer mehr zurückweichen und die geistige Substanz des Weisheitssatzes sich selbst ausspricht, dann wird das persönliche Leben mit einer neuen und spirituellen Note bereichert. So zumindest habe ich es in einigen wenigen, aber äußerst wertvollen Momenten kennen gelernt.

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