Tvam Eva Mata, ein bekanntes Sanskrit-Mantra

Tvam Eva Mata ist ein bekanntes Sanskrit-Mantra und wird hier mit drei Strophen vorgestellt. Wer es selbst erlernen möchte, kann aber sehr gut einfach die erste und leichteste Strophe öfters wiederholen.

 

Der Text und die Übersetzung lauten:

tvam eva mātā ca pitā tvam eva¹         –    “Du allein bist Mutter und Vater, du allein.

tvam eva bandhuś ca sakhā tvam eva –    Du allein bist Freund und Verwandter, du allein.

tvam eva vidyā draviṇaṁ tvam eva    –    Du allein bist Weisheit und Reichtum, du allein.

tvam eva sarvaṁ mama deva deva      –    Du allein bist alles, mein Deva².

 

kayena vācā manas endriyair vā            – mit der Rede, mit dem Geist oder mit den Sinnen

buddhy ātmanā vā prakṛteḥ svabhāvāt  – mit der höheren Intelligenz, dem höchsten Geist oder der irdischen Natur

karomi yadyat sakalaṁ parasmai          – was auch immer ich tue, alles einem anderen,

nārāyaṇa iti samarpayāmi                       – dir, Narayana, gebe ich hin.”³

 

sarva dharmān parityajya                        – “Lass alles Dharma4 zurück,

mām ekaṁ śaraṇaṁ vraja                       – nimm Zuflucht allein zu mir,

ahaṁ tvā sarva pāpebhyo                       – von allem Übel dich werde ich

mokṣayiṣyāmi mā śucaḥ                        – befreien, hab keine Angst.”5

 

Zur Interpretation von Tvam Eva Mata

Menschen, die im christlichen Glauben aufgewachsen sind, können leicht in Verständnisschwierigkeiten geraten, wenn sie sich mit einem aus der hinduistischen Tradition stammenden Mantra wie “Tvam Eva Mata” befassen. Mit einem Blick auf die Weltgeschichte könnte man aber die einstige alte indische Hochkultur, in der die Sanskritschrift und die wichtigen religiösen Texte entstanden sind, als die “Wiege der Religion” betrachten. Es ist jedenfalls eine interessante Tatsache, dass es im Land Indien bis zum heutigen Tage eine Stimmung von sehr freilassender Spiritualität gibt: Eine Person oder eine Familie soll selbst diejenige Gottheit oder dasjenige Ideal wählen, dem man sich mit verehrender Hingabe hinwenden möchte.

Swami Vivekananada erläutert “das erwählte Ideal” folgendermaßen:

Bhakti-Yoga verlangt gebieterisch von uns, keinen der vielen Wege, die zur Erlösung führen, zu verachten oder abzulehnen. Und doch muss die noch wachsende Pflanze eingehegt und beschützt werden, bis sie zum Baum geworden ist. Das zarte Reis des erwachenden religiösen Geistes muss sterben, wenn es zu früh dem dauernden Wechsel von Ideen und Idealen ausgesetzt wird. Viele nähren aus einem – wie sie es nennen – religiösen Liberalismus ihre eitle Neugier, indem sie in ununterbrochenem Wechsel die verschiedensten Ideale zu den ihren machen. Die Sucht, Neues zu hören, wird bei ihnen zu einer Art Krankheit. Das Neue verschafft ihnen einen vorübergehenden Nervenkitzel und sobald eine dieser aufregenden Neuheiten sich ausgewirkt hat, sind sie bereit für eine andere. Für diese Leute ist die Religion nichts anderes als eine Art intellektuellen Opiums und nicht mehr. […]

Die Hingabe an ein einziges Ideal ist für jeden unerlässlich, der mit der Ausübung der religiösen Andacht beginnt. Er muss mit Tulsidas sagen können: “Nimm die Süße von allen, lass dich bei allen nieder und singe mit ihnen den Namen Gottes, den sie besingen. Sag ja, ja!, aber halte fest an deinem.” Ist der Gottsucher aufrichtig, dann wächst aus dem winzigen Samenkorn ein riesiger Baum, der gleich dem indischen Feigenbaum Zweig um Zweig und Wurzel um Wurzel aussendet, bis er das ganze Feld der Religion bedeckt. Dann wird der wahrhaft gläubig Vertrauende erkennen, dass Er, den Er als das eigene Ideal verehrt, in allen Idealen aller Religionen angebetet wird, unter allen Namen und in jeglicher Gestalt.”6

Im Sinne dieser Worte von Swami Vivekananda wäre es also wünschenswert, dass ein Christ freimütig ein Lied zur Verehrung von Narayana, was ein anderer Name für Krishna ist, singen kann. Ebenso sollte ein Hindu keine Probleme damit haben, ein christliches Lied zu singen. Swami Vivekananda beginnt seine Ausführungen mit der Beobachtung, dass viele religiöse Menschen sich zu stark an die von ihnen verehrte Person fixieren und dadurch intollerant gegenüber anderen werden. An dieser Situation hat sich bis heute wenig geändert, so dass der spirituelle Lehrer Heinz Grill kürzlich in einem Interview vorgeschlagen hat, man könne doch einfach, wenn der Name “Krishna” auftaucht, sich “den höchsten reinen Gedanken” vorstellen, der nun sozusagen auf personifizierte Weise besungen oder verehrt wird.

Eine moderne Mantra-Interpretation von Heinz Grill

Was nun aber das Lied “Tvam Eva Mata” betrifft, schlägt Heinz Grill noch eine weitere Interpretation zur Gesangskunst vor: Auffällig in der ersten Strophe ist die häufige Wiederholung der Worte “tvam eva”, was übersetzt werden kann mit “du allein”. Betrachtet man nur einmal den lautlichen Charakter, dann dominiert in dem Lied der Vokal “e”, der nun interpretiert werden kann als “das E geht hinaus”. Im Vergleich dazu erklingt z. B.  das “o” mit einer gewissen runden Offenheit, weniger direkt linear wie das E. Man bekommt also sowohl vom Lautlichen (E-Dominanz), wie vom Inhalt des Liedes (Anrede: “du allein”) den Eindruck einer direkten Anrede, eines Ausgerichtetseins auf ein Du. In diesem Sinn kann das Lied “Tvam Eva Mata” interpretiert werden als ein venushaftes Zugehen auf ein “Du”, als ein “Erleben des Selbst im Du”.7

Die im Video abgebildete Hibiskusblüte mit ihrer schönen Kelchform gilt in der Planetensignaturenlehre8 für die Pflanzen als typische Venuspflanze: Der Kelch öffnet sich für den Betrachter auf sympathische Weise. Wer selbst die Mantra-Rezitation praktizieren möchte, kann sich das Bild der Hibiskusblüte in das Gedächtnis einprägen und während des Singens eine besondere Aufmerksamkeit auf die E-Laute richten. Dann gewinnt die Rezitation bei wiederholter Praxis immer mehr einen schönen, leichten, eben venushaften Klang.

Anmerkungen:

(1) Die erste Strophe ist der Pandava Gita entnommen, einer Zusammenstellung von Versen aus den Schriften Mahabharata, Bhagavata und Vishnu Purana.

(2) deva = überirdische Wesenheit, z.B. eine zur persönlichen Verehrung gewählte Gottheit

(3) Die zweite Strophe entstammt dem Mukundamala, einem Gedicht der hingebungsvollen Verehrung für Krishna, verfasst von Kulasekhara, ca. 9. Jh. nach Christus.

(4) dharma = Recht und Gesetz im religiös-moralischen Sinn

(5) Die dritte Strophe ist ein Vers aus dem letzten Kapitel der Bhagavadgita (18,66). Die Worte werden von Krishna an seinen Schüler Arjuna gerichtet.

(6) Swami Vivekananda, Karma-Yoga und Bhakti-Yoga, Verlag Hermann Bauer 1973, ISBN 3762604096

(7) Zitate aus Mitschriften bisher unveröffentlichter Hinweise von Heinz Grill über die Gesangskunst. (Die Hinweise sind nur für den persönlichen Gebrauch gedacht und dürfen nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis des Urhebers weiter veröffentlicht werden.)

(8) siehe Paracelsus Signaturenlehre

 

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