Rezension der Textsammlung zum Thema Liebe von dem Redner, Pädagogen und Philosophen Krishnamurti
In der Annahme, dass aus ihm der ersehnte neue Weltenlehrer werden würde, hat man dem jungen Krishnamurti eine hervorragende rhetorische, esoterische und philosophische Erziehung angedeihen lassen. Nachdem Krishnamurti selbst den zur Unterstützung seines zukünftigen Wirkens gegründeten “Order of the star of the East” aufgelöst hatte, führte er dennoch weiterhin das Leben eines reisenden Redners und Philosophen. Das Buch “Über die Liebe” enthält ausgewählte Abschnitte aus seinen Reden und Gesprächen in verschiedenen Teilen der Welt, die sich mit den Themen Liebe, Sex und Freiheit vom intellektuellen Denken befassen.
Die Texte sind angenehm zu lesen, da Krishnamurti sich sehr wenig als ein Belehrender und Wissender zeigt, sondern bemüht ist, mit den zuhörenden Personen zusammen ein Thema zu vertiefen. In seinen Worten ist immer eine Art pädagogische Bemühung wahrnehmbar, die Menschen auzurütteln, so dass sie beginnen, die Wirkweise des eigenen Denkapparats und die verschiedenen Phänomene des Lebens zu erforschen.
Was versteht Krishnamurti unter der Liebe?
Diese Frage ist demnach gar nicht so leicht zu beantworten, da er gerade keine festen Definitionen vorgibt. Dennoch fällt auf, dass er eine Art Unterscheidung trifft zwischen dem Denken – und damit scheint er das gewöhnliche intellektuelle Denken zu meinen – und der Liebe, die er “eine Ebene tiefer” ansiedelt. Krishnamurti vertritt wiederholt die These, dass man sich von den festgefahrenen und urteilenden Denkstrukturen befreien müsste, indem man sie erkennt. Wenn diese Befreiung eintritt, dann sei Liebe erst möglich.
Praktisch geht er dabei so vor, dass er zusammen mit den Zuhörern Begriffe wie Sex, Vergnügen oder auch Keuschheit fragend untersucht, welche Rolle sie im Leben spielen, was die Menschen darüber denken und wie sie damit umgehen. Es ist diese Aktivität des Forschens und Fragens, die beim Fragesteller mehr und mehr einen Sinn für das Phänomen der Liebe gedeihen lässt. Krishnamurti ist für dieses Vorgehen geradezu prädestiniert, denn als jemand, der in Indien geboren ist, in England und Australien erzogen wurde, sich in Amerika niedergelassen hat und jedes Jahr mindestens einmal nach Europa reist, ist er ein Weltenbürger, der in keiner feststehenden Denktradition beheimatet ist.
Wenn auch das Wesen der Liebe auf diese Weise manchmal nur eher angedeutet als fest umrissen wird, so entsteht durch diese vorsichtige fragende Vorgehensweise auch beim Leser immer mehr ein sensibler Sinn dafür, dass es sich bei der Liebe um etwas Kostbares und tief Bedeutsames für das Leben und für alle Beziehungen handelt. Gleichzeitig durchzieht eine angenehm sachliche Stimmung das Buch, die Liebe wird nicht wie so oft in romantisierender emotionaler Weise dargestellt.
Das Buch eignet sich also für all jene, die einen tieferen Bezug zu dem Begriff der Liebe herstellen möchten und auch für diejenigen, die sich mit ihren eigenen Denkstrukturen auseinandersetzen möchten. Für beides geben die Worte Krishnamurtis eine hervorragende Anregung.
spiritueller Wert 5/5
praktischer Wert 3/5
Das Buch kann online bezogen werden bei: Amazon.at, derbuchhaendler.at, Thalia.at. Erstaunlicherweise findet sich sogar eine kostenlose online-Version im Internet.
Krishnamurti, Über die Liebe, 183 Seiten, Taschenbuch, Aquamarin Verlag, 7. Auflage 2015, ISBN 978-3-89427-074-2
Bild rechts: Umschlaggestaltung der 6. Auflage
Bildquellen (17-08-18): www.exlibris.ch, Thalia.at