Vedanta – Der Ozean der Weisheit

Rezension der Einführung in die Vedānta-Philosophie, zusammengestellt aus Vorträgen von Swami Vivekananda (1863 – 1902).

Ozean-Bild von David Mark auf pixabayTrotz seines kurzen Lebens von nur 39 Jahren ist Swami Vivekananda als bedeutende Persönlichkeit in die Weltgeschichte eingegangen. Als junger Mann mit kritischem Forschergeist begegnete er dem Heiligen Ramakrishna im heutigen Bangladesch und lernte von ihm die Advaita-Vedanta-Philosophie des All-Einen. Ja, er wurde sogar der wesentlichste Schüler von Ramakrishna und dieser hatte richtiggehend auf ihn gewartet und schalt ihn sogar, dass er “erst so spät” in sein Leben getreten sei.

Ein Leben für die Religion

Nach dem Tod seines Lehrers zog Vivekananda zunächst ganz der indischen Tradition gemäß als bettelnder Wandermönch durch das Land und gab sein erworbenes Wissen an die Menschen weiter, die ihm begegneten. Er hatte sich bereits aufgrund seiner Weisheit und seines Erfahrungswissens einen besonderen Ruf erworben, als für das Jahr 1893 die erste Weltkonferenz der Religionen in den Vereinigten Staaten von Amerika geplant wurde. Als eine Einladung zur Teilnahme an dieser Konferenz an ihn erging, wollte er zuerst nicht hingehen, doch da erschien ihm sein ehemaliger Lehrer im Traum und ermahnte ihn, diese Aufgabe anzunehmen.

Swami Vivekananda hielt an dieser Konferenz 6 Ansprachen und wurde von manchen Zeitungen als die wesentlichste Person des ganzen Kongresses tituliert. Er bemühte sich, die traditionellen Begriffe und Gedanken des Yoga, des Vedānta und des Hinduismus für die westlichen Zuhörer aufzubereiten und verständlich zu erklären. Zurück in Indien gründete er den Ramakrishna-Math und die Ramakrishna-Mission. Als er 1899 seine zweite Reise nach Amerika antrat, litt er bereits an gesundheitlichen Problemen (Asthma, Diabetes, chronische Schlaflosigkeit). In dem Bemühen, sein Wissen so vielen Menschen wie möglich zugänglich zu machen, verausgabte er seine Lebenskräfte vollends und verstarb in jungen Jahren. Da die heiligen Schriften Indiens damals noch kaum ins Englische übersetzt waren und auch heute für westliche Gemüter sehr schwer verständlich sind, ist Swami Vivekananda bis zum heutigen Tag eine wesentliche Quelle für den, der die östlichen Weisheiten näher kennenlernen möchte. Swami Chetananda hat die vorliegende Auswahl aus dem Gesamtwerk von Vivekananda zusammengestellt.

Das Buch ist sehr überschaubar gegliedert und schreitet vom Allgemeinen zum Speziellen voran. Auf die einführenden Kapitel zu der Frage “Was ist Vedānta?” und zur Religion, Philosophie, dem Gott- und Menschenbild im Vedānta folgen Kapitel zu den vier wesentlichen Yogapfaden Bhakti-Yoga, Karma-Yoga, Jnana-Yoga und Raja-Yoga. Den Abschluss bilden Kapitel zu Vedānta in der Praxis und dem Ziel des Vedānta.

Die klare Ordnung der Begriffe

Vedanta, Swami VivekanandaFür den modernen, materialistisch geprägten Menschen sind die Konzepte des Vedānta eine ausserordentliche mentale Herausforderung. Man muss seine Blickrichtung um 180 Grad verändern und sich vom Schwerpunkt der gewohnheitsmäßigen materiellen Vorteilsuche zum Schwerpunkt der Anerkennung einer universalen Quelle für alle Vorgänge auf der Erde umorientieren. Doch vielleicht ist es gerade das, was eine Hilfe und Bereicherung darstellen kann, wenn man sich festgefahren und trotz materiellen Wohlstands unglücklich oder sogar krank fühlt.

Von daher ist es besser, das Buch von vorneherein nicht wie einen Roman zu lesen, bzw. zu verschlingen, sondern die Gedanken zu bewegen, sie sich in ihrer fremden Realität vorzustellen und so mit dem Lesen auch ein Stück weit innerlich zu wachsen.

Nehmen wir zur Anschauung einige wesentliche Begriffe heraus:

Brahman

Während die christlich geprägte Sichtweise gewöhnlich einen sogenannten dualistischen Standpunkt einnimmt und den Schöpfergott auf der einen Seite und den Menschen auf der anderen Seite sieht, ist der a-dvaita-Standpunkt nicht-dualistisch und besagt:

Wenn es einen Gott gibt, dann muss er sowohl die materielle wie auch die bewirkende Ursache des Universums sein. Er ist nicht nur der Schöpfer, sondern Er ist auch das Geschaffene. Er selbst ist dieses Universum.¹

Dieser universale Schöpfergott wird Brahman genannt.

Bhakti-Yoga

Auch für Bhaktiyoga, das allzuleicht im romantisierenden Sinn mit oberflächlichen Gefühlen verstanden wird, findet Vivekananda klare Worte: “Bhakti-Yoga ist ein wirkliches, echtes Suchen nach Gott, ein Suchen, das in Liebe beginnt, sich in Liebe fortsetzt und in Liebe endet. …Diese Liebe kann nicht zu irdischem Gewinn herabgewürdigt werden, denn solange weltliche Wünsche existieren, stellt diese Liebe sich nicht ein…. In dem Zustand höchster Ergebung verschwindet jede Verhaftung, mit Ausnahme der allbeherrschenden Liebe zu Ihm, in dem alle Dinge leben, sich bewegen und ihr Wesen haben. Diese aus Liebe entstandene Verhaftung an Gott bindet die Seele in keiner Weise, sondern löst all ihre Fesseln.”²

Māyā

Vivekananda bringt eine sehr interessante Unterscheidung zu dem Begriff der Māyā und führt aus, dass es mehr auf dem Hintergrund des Buddhismus beruht, wenn man heute voreilig sagt, Māyā heisse, dass die Welt eine Illusion sei. Denn im Buddhismus gab es tatsächlich Bestrebungen, die Welt als eine reine Illusion zu betrachten.

Fast konträr klingt es, wenn er ausführt: “Māyā ist eine Feststellung darüber, dass dieses Universum eine Tatsache ist und darüber wie es funktioniert…. Dass nämlich die Basis unseres Seins ein Widerspruch ist, dass wir überall durch gewaltige Widersprüche hindurch müssen, dass, wo es Gutes gibt, auch Böses sein muss und dass in jedem Bösen auch etwas Gutes ist.” Und er wählt ein Beispiel: “… Angenommen, die ganze Welt würde christlich. Die christlichen Nationen würden dann verarmen, weil es keine nichtchristlichen Nationen gäbe, die man ausbeuten könnte. Tiere leben von Pflanzen, Menschen leben von Tieren und, schlimmer noch, voneinander, die Starken von den Schwachen. Dies geschieht überall, und das ist Maya.”³

Die Kirchenkritik von Vivekananda

Ich denke, dass die aufgeführten Beispiele veranschaulichen, wie die Lektüre von Vivekananda Klarheit schaffen kann zum Verständnis der tiefgründigen indischen Vedānta-Philosophie. Zudem handelt es sich bei den Texten um Vortragsniederschriften, die meist aus dem Stegreif gehalten wurden und deshalb sehr anschaulich und dem Leser oder Zuhörer nahe verständlich sind.

Auch für jeden Yoga-Übenden, der mehr über die Hintergründe dieser alten Philosophie wissen möchte, ist die Lektüre von Swami Vivekananda sehr zu empfehlen.

Man könnte die Frage stellen, ob Swami Vivekananda aufgrund der Klarheit seiner Ausführungen sich nicht auch den Ärger so mancher Christenmenschen zugezogen hat. Als Beispiel möchte ich dazu noch einen kirchenkritischen Gedanken von ihm zitieren:

Ich will hinzufügen, dass es gut ist, in einer Kirche geboren zu werden, aber schlecht, darin zu sterben. Es ist gut, als Kind geboren zu werden, aber schlecht, ein Kind zu bleiben. Kirchen, Zeremonien und Symbole sind gut für Kinder, aber wenn das Kind erwachsen ist, muss entweder die Kirche überwunden werden oder der Mensch zerbricht.4

Wenn man des Weiteren zur Kenntnis nimmt, dass der Schweizer Sektenbeauftragte Georg Schmid Swami Vivekananda einen “elitären Standpunkt” zum Vorwurf macht, dann wird jedenfalls deutlich, dass dies eine Projektion ist. Denn während Swami Vivekananda sich für die Toleranz unter allen Religionen einsetzte und die Richtigkeit und den Sinn einer religiösen Vielfalt hervorhob, sind es die katholische und die evangelische Kirche, die sich auf elitäre Weise über andere Konfessionen und Religionen erheben und bis zum heutigen Tag einen Alleingeltungsanspruch vor allen anderen Konfessionen und Religionen ausüben.

Auch von diesem Gesichtspunkt her verdient es Swami Vivekananda, für die Größe seines Lebenswerkes gewürdigt zu werden.

Spiritueller Wert 5/5
Praktischer Wert 3/5

 

Swami Vivekananda, Vedanta, Der Ozean der Weisheit, Hardcover, 288 Seiten, O.W. Barth Verlag 2010, ISBN 978-3426291832 (VIV)

Das Buch ist online erhältlich bei Amazon.at, derbuchhaendler.at, Thalia.at.

(1) VIV S. 52

(2) VIV S. 167/168

(3) VIV S. 121/122

(4) VIV S. 67

 

Bildnachweis (19-07-17): Ozean-Bild von David Mark auf pixabay, Buchcover-amazon.at

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