G E S U N D H E I T – S A L U T E – H E A L T H
Die Gesundheit bezeichnet einen Zustand des Menschen. Im Gegensatz dazu existiert der Zustand des Krankseins. Zwischen Gesundheit und Krankheit pendelt das körperliche und seelische Wohlbefinden des Menschen vielfach hin und her. Gesundheit ist das Ergebnis des Gesundens, Krankheit ist das Ergebnis des Erkrankens. Der Mensch fühlt sich gesund oder krank, er hat eine Krankheit, aber er hat wohl sehr selten „die Gesundheit“. Bei diesen ersten Annäherungen zum Begriff wird schon deutlich, dass Gesundheit eine ideale Zustandsform bedeutet, der man sich anzunähern versucht oder die man bestmöglichst zu bewahren versucht, während Krankheit eher etwas ist, womit man geschlagen wird, was man sich zuzieht, etwas Fremdes, das nicht dem eigenen Sein entspricht. Gesund-Sein ist in diesem Sinn ein Integer-Sein, ein Intakt-Sein als Persönlichkeit.
Etymologische Betrachtungen
Die Sprachwissenschaft vermutet eine indoeuropäische Urform *søen-, was sowohl „Sonne“, als auch „tönen, schallen“ bedeutet. Des Weiteren nimmt man die urindoeuropäische Form eines Adjektivs *søento– oder *sunto an, was “kräftig, stark, gesund” bedeutet. Die beiden deutschen Adjektive “geschwind” (im Sinne von kräftig, rege) und “gesund” werden als sogenannte Schwundstufen daraus abgeleitet.
In der Sanskritsprache gibt es das Adverb „su“ in der Bedeutung von „wohl, gut“. Das Verb sūte in der Bedeutung „erzeugen, gebären“ steht damit in Verbindung, ebenso wie sūrya, die Sonne. Lautlich davon abgeleitet wird schließlich die Verbwurzel svar, die zugleich „leuchten, scheinen“ und „tönen, schallen“ bedeutet.1
Weiterhin kann eine Verknüpfung erstellt werden von dem indoeuropäischen *se- in der Bedeutung „abseits, für sich, eigen“, dem Sanskritwort sva und dem deutschen „sich“. Nun ist es interessant, dass der Inder zum Ausdruck bringt, dass es ihm gesundheitlich gut geht, indem er die Worte „sva-stha, su-stha“ oder „su-sthita“ verwendet. Sva heißt „sich“ und stha heißt „stehen“ und somit meint svastha so viel wie „in seinem natürlichen Zustande sich befindend“ oder „im eigenen Ich befindlich“.2 Das Wort für Krank-Sein lautet im Sanskrit entsprechend a-svastha, also „sich nicht in seinem natürlichen Zustande befindend.“
Schlägt man also eine Brücke vom Sanskrit über die indoeuropäischen Urformen zum Deutschen, dann wäre in dem Wort „gesund“ eine tiefere Bedeutung verborgen, die in etwa Folgendes zum Ausdruck bringt:
Als Mensch stehe ich in meinem Eigensein auf der Erde und bin dennoch ein Sonnenwesen. Es entspricht meinem natürlichen Zustand, zu leuchten, zu scheinen, zu tönen und Neues zu gebären wie die Sonne selbst. Dann bin ich gesund. Krank bin ich dann, wenn ich den mir natürlich gegebenen Sonnenstatus in meiner Seele verlasse.3
Historische Betrachtungen
Somit wäre ein erster Eindruck darüber angelegt, wie in der Altindischen Epoche (circa 3000 v. Chr.) das Gesundsein des Menschen erlebt wurde. Welchen Weg hat der Begriff in den weiteren Geschichtsepochen genommen?
Im Denken Platons (428-348 v. Chr) klingt der Zusammenhang zwischen der Gesundheit und der Idealform des Menschlichen nach, wenn er davon spricht, dass die Gesundheit die „Arete“ des Körpers ist. Arete ist in der griechischen Philosophie ein Begriff, der genau das beste innewohnende Vermögen einer Sache, eines Tieres, Menschen oder Gottes bezeichnet. Der Mensch soll aber nicht direkt nach der Gesundheit des Leibes streben, sondern sich um die sittlichen Tugenden kümmern, aus der alle anderen menschlichen Vollkommenheiten hervorgehen:
„Und ich für meinen Teil glaube, dass noch nie dem Staat etwas Besseres widerfahren ist als dieser Dienst, den ich dem Gott leiste. Denn nichts anders tue ich, als dass ich umhergehe, um Jung und Alt unter euch zu überreden, ja nicht für den Leib und für das Vermögen mehr zu sorgen als für die Seele, damit diese aufs Beste gedeihe. Und ich sage euch, dass nicht aus dem Reichtum die Arete entsteht, sondern aus der Arete der Reichtum und alle anderen guten Dinge für den Menschen insgesamt, individuelle und gemeinschaftliche.“4
Bei dem mittelalterlichen Theologen und Scholastiker Thomas von Aquin (1225-1274 n. Chr.) findet nun eine bedeutsame Aufgliederung statt, indem er dem Menschen zwar die Möglichkeit zu einer vollkommenen Erfahrung, z.B. von Gesundheit, einräumt, aber nur Gott allein von vorneherein Ausdruck alles Vollkommenen ist. Der Mensch hingegen muss immer eine gewisse Mühe aufbringen, um einen vollkommeneren Zustand zu erlangen:
„So z. B. hat jener im geringsten Grade Beziehung zur Gesundheit, welcher nur eine schwache Gesundheit überhaupt haben kann und dazu weniger Heilmittel bedarf, um sie aufrecht zu halten. Höher aber steht nach dieser Seite hin jener, der vollkommener Gesundheit teilhaft werden kann, aber nur mit Hilfe vieler Heilmittel. Den höchsten Grad jedoch nimmt darin jener ein, welcher eine vollendete Gesundheit besitzt. Die Seinsarten also unter dem Menschen [sprich: die Tiere, Anm. d. Autorin] können nur beschränkte Güter erreichen; und deshalb haben sie einige wenige völlig in sich abgegrenzte Thätigkeiten und Vermögen. Der Mensch aber kann das vollendete Allgut besitzen; er steht jedoch auf der niedrigsten Stufe unter jenen Wesen, welche der übernatürlichen Seligkeit teilhaft werden können und deshalb bedarf er dazu vieler Vermögen und Thätigkeiten; während die Engel deren weniger notwendig haben. Gott allein ist dem Wesen nach von vornherein seine eigene Vollendung.“5
Mit dem Aufkommen eines mechanistischen Weltbildes tritt auch ein großer Gesinnungswandel hinsichtlich des Verständnisses von Gesundheit ein. René Descartes (1596-1650) zählt zu dessen ersten Vertretern, die das Bild geschaffen haben vom Körper, der so perfekt funktioniert wie ein mechanisches Uhrwerk. «David Hume (1711-17776) fordert: „Lasst also Natur die Maschine lenken, die sie, wohl wissend, was sie tat, gestaltet hat.“ David Hume definiert Glück als Behaglichkeit, Zufriedenheit, Ruhe und Lust, nicht ängstliche Achtsamkeit, Besorgnis und Strapaze. Die körperliche Gesundheit besteht seiner Meinung nach in der Mühelosigkeit, mit der sich die körperlichen Vorgänge abspielen. Sie laufen automatisch ab, ohne dass sich ein Mensch darum kümmern müsste.»6
Nach dem mechanistischen Weltbild wird man plötzlich und akut krank, so wie bei einer Maschine ein Rädchen bricht. Von da an ist es nicht mehr weit bis zur Vorstellung, dass es für jedes Versagen der Maschine „menschlicher Körper“ einen materiellen Reparaturmechanismus, z.B. in Form von Tabletten, Impfungen, Operationen, etc. geben müsste. Selbst die Heilmittel der Naturheilkunde werden nach der mechanisch-materialistischen Weltsicht lediglich von ihrem äußeren Nutz- und Heilwert betrachtet. Das Wissen um die notwendige Bemühung des ganzen Menschen für seine persönliche Gesundheit, geht mehr und mehr verloren. Dies veranschaulicht sehr schön ein Beitrag aus dem Brockhaus-Lexikon von 1837 im Vergleich zur modernen Definition der Weltgesundheitsorganisation:
“Um seine Gesundheit zu bewahren, muß man, so viel als möglich, naturgemäß leben, in jedem Genusse mäßig sein, Ordnung halten im Essen und Trinken, Wachen und Schlafen, und vor Allem auf Reinlichkeit bedacht sein. Ein hinlänglicher, aber nicht zu langer Schlaf in den Stunden, in welchen die Natur selbst zu demselben einladet, einfache, nicht allzu reizende Speisen und Getränke, frische Luft, Beherrschung der Leidenschaften und Bewahrung eines schuldlosen und heitern Gemüths sind die besten Sicherungsmittel der Gesundheit.”7
Die Gesundheit ist nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation ein „Zustand vollständigen körperlichen, geistigen u. sozialen Wohlbefindens“. Die alleinige Umschreibung des Begriffs im Sine von Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen ist demnach unvollständig. Gesundheit ist nach der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der UN ein Grundrecht. Die Bewahrung und Verbesserung der Gesundheit sind Zweck des staatlich regulierten Gesundheitssystems. Die Qualität eines Gesundheitssystems misst sich demnach an der Realisierung dieses Rechts für die Bürger eines Staates.8
Betrachtet man gerade die letzten Sätze aus dem Roche Lexikon Medizin von 1984 auf dem dargelegten etymologischen und historischen Hintergrund, so sticht der komplette Gesinnungswandel ins Auge von einem Gesundheitsbegriff, den man mit der höchsten Selbstrealisation des Menschen gleichsetzen könnte, zu einem Gesundheitsbegriff, wo der Mensch geradezu aufgefordert wird, die Sorge um sein Wohlbefinden in die Hände eines staatlichen Systems zu legen. Den Weg hierfür hat wohl das materialistische Weltbild bereitet. Die beiden Auffassungen stehen sich geradezu diametral gegenüber und die Frage drängt sich auf:
Wie könnte man Gesundheit im besten Sinne verstehen, bzw. wie kann dieser Begriff missbraucht werden?
Diese Fragestellung soll die Ausgangsbasis für einen weiteren Beitrag werden.
Quellen und Anmerkungen:
1 Lexikon des Indogermanischen, https://www.koeblergerhard.de
2 Böhtlingk und Roth, Grosses Petersburger Wörterbuch des Sanskrit
3 Zum Sonnenstatus der Seele siehe Heinz Grill, Die Herzmittelstellung Initiatorische Schulung in Arco, Band I
4 Platon, Apologie des Sokrates, 30a-b
5 Thomas von Aquino, Summa theologica, Prima Pars, Quaestio 77, 2. Artikel
6 Zitiert aus: Die Philosophen können die Menschen nicht glücklich machen, https://www.wissen57.de/david-hume_die-epikuraeer.html, abgerufen am 11.01.2022
7 Brockhaus Bilder-Conversations-Lexikon, http://www.zeno.org/Brockhaus-1837/A/Gesundheit?hl=gesundheit, abgerufen am 11.01.2022
8 Roche Lexikon Medizin, https://elsevier-data.de/rochelexikon5a/, abgerufen am 11.01.2022
Bildnachweise (11.01.2022): Beitragsbild-Bild von juuucy auf pixabay, Mechanistisches Weltbild-thur.de/philo/tanja/poyet.jpg