Rezension der Einführung in die Achtsamkeitsmeditation durch den vietnamesichen Zen-Meister Thich Nhat Hanh.
Am 6. September 2017 wird Thich Nhat Hanh die Ehrenmedaille des Union Theological Seminary von New York erhalten als “Anerkennung seiner bemerkenswerten globalen Bemühungen.” Thich Nhat Hanh, der laut einer Information von Buddhismus aktuell vor kurzem (September 2017) in seine Heimat Vietnam zurück gekehrt ist, hat im Jahr 1975 damit begonnen, Menschen im Westen in Meditation zu unterrichtenn. Das vorliegende Buch ist die unveränderte Neuauflage aus dem Jahr 2009 seines ersten einführenden Buches über die Achtsamkeits-Meditation.
Es enthält ein Vorwort von Ulrich Scharpf und ein abschließendes Kapitel über die Person Thich Nhat Hanhs von James Forest. Die einzelnen Buchkapitel haben so poetische Bezeichnungen wie “Das Wunder, auf der Erde zu gehen”, “Der Mandelbaum in Ihrem Vorgarten” oder “Eins ist alles, alles ist eins.” Poetisch ist auch die gesamte Gestaltung des Buches mit Gedichten des Autors zwischen den einzelnen Kapiteln, Zitaten aus verschiedenen buddhistischen Sutra sowie eingefügten Erzählungen kleiner scheinbar alltäglicher Begebenheiten.
Achtsamkeit als eine Lebenseinstellung
In diesem leichten poetischen Stil führt Thich Nhat Hanh die Leser in die Meditation ein. Er schildert, wie das Alltagsbewusstsein von Momenten des achtsamen Innehaltens begleitet sein kann, wie man sich darin üben kann, mit der Aufmerksamkeit ganz bei derjenigen Sache zu sein, mit der man gerade beschäftigt ist, und sei es das Abwaschen des Geschirrs. Er beschreibt das Gehen, das Sitzen und vor allen Dingen das Atmen als Gelegenheiten, die Aufmerksamkeit zu schulen. Das Atmen als konkretes und immer gegenwärtig stattfindendes Ereignis nimmt in den ganzen Schilderungen eine zentrale Rolle ein.
Der Autor nennt Beispiele, wie man das Atmen mit bestimmten Affermationen verbinden oder einfach nur die Atemzüge zählen oder auch die Dauer des Aus- und Einatmens gezielt verlängern kann. Des weiteren rät er dazu, sich einen Tag in der Woche zu reservieren, an dem man sich von äußeren Verpflichtungen frei macht und alle Handhabungen in Achtsamkeit verrichtet. Als das Ziel dieser gesamten Meditationspraxis nennt er zunächst die Entspannung, dann ein ruhiges Herz und einen klaren Geist und zuletzt den wahren Geist, den er so definiert:
Der wahre Geist ist unser wirkliches Selbst, ist Buddha: das reine Einssein, das nicht durch trügerische sprachliche und begriffliche Vorstellungen von einem getrennten Selbst gespalten werden kann.
Die vollkommene Wahrnehmung der Wirklichkeit
Wie dieser Zustand des nicht-unterscheidenden Geistes konkret aussehen kann, wo man die Wirklichkeit in ihrer letztendlichen Vollkommenheit wahrnimmt, führt Thich Nhat Hanh in einem weiteren Kapitel beispielhaft aus. Er schildert eine Situation, als er Anträge auf Unterstützung von Waisenkindern zu übersetzen hatte und er sich vorher jeweils das Foto des Kindes genau anschaute und mit ihm in eine innere Verbindung eingetreten ist. Beim Verfassen des vorliegenden Buches sei ihm klar geworden, dass die Verbundenheit, die er in den Momenten des Übersetzens spürte, eine Art nicht-unterscheidender Geist ist.
Da gibt es kein “Ich” mehr, das die Anträge übersetzt, um den Kindern zu helfen. Da ist auch kein Kind mehr, das Liebe und Hilfe erfährt. Das Kind und ich sind eins: niemand hat Mitgefühl, niemand bittet um Hilfe. Es gibt keine Aufgabe, keine Sozialarbeit, die zu leisten wäre, kein Mitgefühl, keine besondere Weisheit. Es sind Augenblicke von nicht-unterscheidendem Geist.
Die Worte Thich Nhat Hanhs sind authentisch, denn er berichtet nur von Dingen, die er selbst erfahren hat. So nennt er im letzten Kapitel 32 Möglichkeiten aus seinem eigenen Erfahrungsschatz, wie man die Achtsamkeit im eigenen Alltag üben kann. Gerade wegen dieser Authentizität ist das Buch trotz seines Alters von mehr als 40 Jahren sicher immer noch eine der solidesten Einführungen in die Achtsamkeits-Meditation. Der Leser erhält einen Eindruck von Achtsamkeit als Lebensmodell, welches weit über die gängige mindfulness-Praxis hinausgeht und auch eine sehr ernsthafte Motivation verlangt.
Hohe und edle Motive des Meditierenden
Vielleicht sollte man sich dies von Anfang an vor Augen halten, dass es sich bei dem Autor um eine Person handelt, die seit jeher das Wohl anderer, zunächst vor allem das seines leidenden Volkes, aber später auch die seelische Not der Menschen im Westen im Auge hatte. Eine solch hohe Motivation bewahrt den Übenden sicher davor, mit der Meditation zu sehr in ein enges Kreisen um sich selbst abzudriften.
Dementsprechend eignet sich das Buch gerade für diejenigen Menschen, die hohe Ideale haben und nach praktischen Verwirklichungsmöglichkeiten suchen.
Spiritueller Wert 3/5
Praktischer Wert 5/5
Das Buch ist online erhältlich bei Amazon.at, derbuchhaendler.at, Thalia.at. Es ist auch als eBook und als Hörbuch verfügbar.
Thich Nhat Hanh, Das Wunder der Achtsamkeit, 139 Seiten, Hardcover, J.Kamphausen Verlag, Neuauflage 2009, ISBN 978-3-89901-238-5.
Bildquellen (17-09-05): Amazon, meditationtechniques.co