Rezension der „Darstellung der vier großen Yogasysteme in Theorie und Praxis“, verfasst von dem Begründer der Sivananda Yoga Vedanta Zentren, Swami Vishnudevananda.
Die Grundlagen von Meditation und Mantras
In meiner Rubrik über Unabhängige Denker habe ich Swami Vishnudevananda bereits eine eigene Kurzbiographie gewidmet. So möchte ich hier direkt auf sein Buch über Meditation und Mantras zu sprechen kommen. Er hat es nach eigenen Worten „in der Absicht geschrieben, die Verwirrung zu zerstreuen, die sich um das Thema Meditation gebildet hat.“
Auf über 300 Seiten gibt der Autor im Folgenden einen kompletten Einblick in die Grundlagen der Meditation, er erläutert die verschiedenen Meditationsarten, die aus den großen Yogasystemen entspringen und er widmet sich ausführlich den Hindernissen und den Erfahrungen auf dem Weg der Meditation. Ein besonders wertvoller Abschnitt ist die kommentierte Übersetzung der Raja Yoga Sutras von Patanjali mit Ausnahme des ersten Kapitels. Auch die Erläuterungen zu wesentlichen Mantras für den Japa Yoga fehlen nicht.
Der Leser lernt wichtige Sanskritbegriffe kennen, wie zum Beispiel das Wort saṃskāra (S. 15/16), das heutzutage leicht einmal in sehr oberflächlicher Weise verwendet wird. Im Sinne Swami Vishnudevanandas wird deutlich, dass saṃskāra der Begriff für die tief im Unbewussten eingegrabenen Gewohnheiten ist, die oft von innen heraus das Leben lenken. Zu den Zielen der Meditation gehört es, dass diese unterbewussten saṃskāra eine neue Prägung erhalten. Somit kann der Mensch neue, positive Gewohnheiten erwerben. Damit ist klar, dass es sich nur um eine erste Andeutung dessen handeln kann, wenn der Yogalehrer in einer Tiefenentspannung den Hinweis gibt, man solle sich ein positives saṃskāra erwählen und es denken. Bis es wirklich zur Umstimmung tiefer Lebensgewohnheiten kommt, ist es ein langer Weg. Man muss dazu lernen, das Spiel des Geistes und des persönlichen Ego zu beobachten, so lange bis man von selbst den Wunsch nach Veränderung von bestimmten Gewohnheiten entwickelt.
Die philosophischen Systeme Indiens
Folgende philosophischen Systeme und ihre Meditationspraktiken finden eine Erläuterung:
Japa Yoga, Kundalini Yoga, Jnana Yoga, Bhakti Yoga, Raja Yoga – sowie ein Abschnitt über Biofeedback als hilfreiche Methode zum Erlernen der Entspannung. Der Autor legt bei allen Formen Wert darauf, die Theorie genauso wie die Praxis zu beschreiben. Exemplarisch soll hier der eher wenig bekannte Jnana Yoga dargestellt werden. Er wird auch Yoga der Erkenntnis genannt und gilt als der schwierigste Yoga. Es handelt sich dabei um ein rein gedankliches Forschen und Betrachten. Schwierig ist Jnana Yoga deshalb, da es eine guten Vorbereitung in den anderen Yogapfaden braucht, damit der Geist stark genug ist und der Praktizierende in der Lage ist, Irrtümer selbst zu erkennen und zu korrigieren.
Nach den Worten von Swami Vishnudevananda ist das zweite der sechs traditionellen indischen philosophischen Systeme mit der Bezeichnung Uttara Mimamsa die Grundlage für Jnana Yoga. (S. 123) Die Grundannahme in diesem System ist grob gesagt diejenige, dass Brahman oder das Universale Göttliche die einzige Wahrheit im Leben ist. Es geht für den Einzelnen nun darum, die vielen Illusionen ebenso zu durchschauen wie diese universale Wahrheit zu erkennen. Man nennt diese Auffassung auch Advaita Vedanta, A-dvaita bedeutet Un-geteilt. Die höchste Form der Erkenntnis ist nach dieser Auffassung die Einsicht, wie das eigene innere Selbst identisch ist mit dem universalen Göttlichen, das als Brahman bezeichnet wird.
Was macht nun der im Jnana Yoga Meditierende konkret in der Praxis? Swami Vishnudevananda sagt dazu:
Es gibt verschiedene Vedantamethoden zur Verwirklichung des Selbst. Alle basieren auf der Beseitigung der begrenzenden Vorstellungen, Upadhis, in bezug auf einen selbst und das Universum. So wie ein Behälter die Illusion schafft, daß der Raum innen getrennt und kleiner ist, so schafft der Geist seine eigenen Mauern und daher die Illusion der Getrenntheit vom Selbst. Beseitigung der begrenzenden Eigenschaften ist der wahre Kern der Vedantameditation ohne Bezug auf die benutzte Form. Bei der Ausübung des Jnana Yoga meditert man nicht nur eine bestimmte Zeit sitzend, sondern wendet das meditative Vorgehen während des ganzen Tages an. Auf diese Weise ist der Jnana Yogi, obwohl er an der Welt teilnimmt, davon unberührt. S. 138
Die Praxis des Jnana Yoga
Man wählt beispielsweise den Sanskrit-Satz tat tvam asi, was so viel bedeutet wie „das bist du“. Man beginnt im Zustand der Unwissenheit und der Identifikation mit dem eigenen Körper. Nach und nach erkennt man die begrenzenden Vorstellungen und lernt, sich nicht mit den verschiedenen Hüllen zu identifizieren, die das eigentliche innere Selbst umschließen. So erkennt man z.B. dass die Rolle, die man im Leben einnimmt, nicht die eigentliche Identität ist. „Vergängliche Eigenschaften wie Körper, (Haut)-farbe, Geschlecht und Religion werden ausgeschaltet.“ (S. 152)
Schließlich, nach langen Jahren des sorgfältigen Betrachtens der Lebensumstände, kann man zum Verständnis der Bedeutung von tat tvam asi kommen und real – nicht bloß als intellektuelle Annahme – erkennen, „daß jede individuelle Seele in Wirklichkeit das höchste Absolute ist.“ (ebd.)
Anhand dieser wohl größten Dimension, die Meditation überhaupt einnehmen kann, stößt man natürlich sehr schnell zu dem Thema der Hindernisse auf dem Weg. Der Autor nimmt in diesem Abschnitt Bezug zu den Phänomenen Aufhören der Praxis, Gesundheit und Ernährung, Faulheit und Schlaf, Komplikationen des täglichen Lebens, Unnütze Unterhaltung u. a. m.
Die Erfahrung von Licht in der Meditation
Den Abschnitt über die Erfahrungen in der Meditation hat der Autor hingegen aus dem Buch von Swami Sivananda Saraswati, Konzentration und Meditation, entnommen (in deutscher Sprache vergriffen). Hier handelt es sich wohl um das delikateste Kapitel des Buches. Dazu möchte ich auch aus meinen persönlichen Erfahrungen heraus eine Warnung aussprechen: Das Ziel der Meditation darf nie in den geschilderten besonderen Erfahrungen liegen, wie Sehen von Licht und Farbe, Astrallreisen, Kosmisches Bewusstsein, Samadhi, Materialisation, Sehen göttlicher Gestalten und Ähnliches. Swami Vishnudevananda sagt selbst in den einleitenden Kapiteln, dass der selbstlose Dienst eine Grundlage für die Meditation sei. Und Swami Sivananda unterstreicht:
Manchmal erscheinen während der Meditation vor der Stirn eine große Sonne oder der Mond oder Blitztlichter. Beachte diese Erscheinungen gar nicht. Laß sie. Versuche tief zur Quelle dieser Lichter zu tauchen. (S. 265)
Warum soll man diese Erscheinungen nicht beachten? Mit der Lektüre des Buches wird deutlich, dass es sich bei der Meditation um einen Prozess der persönliche Entwicklung hin zu einem besseren charakterlichen Verhalten handelt. Dieser Prozess nimmt durchaus das ganze Leben in Anspruch. Die besonderen Erfahrungen, die man während des Übens unter Umständen macht, sind nur als Begleiterscheinungen und als Bestätigungen, dass man auf dem richtigen Weg ist, zu sehen. Identifiziert man sich aber mit ihnen, so schafft man eine innere Blockade und der Fortschritt auf dem Weg der Meditation kann sehr schnell zu einem Rückschritt werden.
Wer diese Prämisse beachtet und sich für die Yoga-Meditation interessiert, wird aus dem Buch großen Nutzen ziehen und viel für die persönliche Meditationspraxis lernen können. Das Buch eignet sich für Anfänger und Fortgeschrittene im Yoga ebenso wie für bloße „Neugierige“, die eine Vorstellung von dem orientalischen Konzept der Meditation auf solide Weise erlangen wollen.
Spiritueller Wert 5/5
Praktischer Wert 5/5
Meditation und Mantras, Swami Vishnu-devananda, 327 Seiten, Taschenbuch, Sivananda Yoga Vedanta Zentrum 1998, ISBN 978-3930716029
Das Buch ist in deutscher Sprache leider nur antiquarisch erhältlich bei medimops.de
In englischer Sprache erfolgte eine Neuauflage im Jahr 2014: Amazon.at, Thalia.at