Eine Sammlung von Vorträgen des damaligen Bhagwan aus dem Jahr 1974.
Rezension der elf Vorträge, die Osho ausgehend von Anekdoten aus dem Zen-Buddhismus anlässlich eines Meditationscamps gehalten hat.
Als revolutionärer “Anti-Guru”, der alle bisherigen Traditionen indischer Geistschulung vor den Kopf gestoßen hat, ist Osho heute in weiten Kreisen bekannt. Wesentlich weniger bekannt sind hingegen die tatsächlichen Inhalte der vielen Vorträge, die mittlerweile alle auch in deutscher Sprache in Schriftform vorliegen.
Bei den Vorträgen im vorliegenden Buch stellt Osho jeweils eine Anekdote aus der Zen-Tradition voraus. In der buddhistischen Tradition sind sehr viele solche kurze Geschichten überliefert, die meist in Form eines kurzen Zwiegeprächs zwischen Schüler und Lehrer einen Aspekt zur buddhistischen Lehre vermitteln. Da im Buddhismus sehr stark mit negativen Begriffen gearbeitet wird, um die Unbegreiflichkeit des Geistigen auszudrücken, enthalten die Erzählungen oft eine überraschende Wendung, die den Schüler aus seinem gewohnten und intellektuellen Denken herausreisst.
Die Konfrontation mit der Negation
Diese Art, die Schüler mit ungewöhnlichen Gedankenformen zu überraschen, ja zu konfrontieren, entspricht auch dem Naturell von Osho und so sagt er selbst von sich, dass er diese Geschichten aus dem Zen liebe. Der zweite Vortrag beginnt mit folgender Geschichte:
Kein Geist, keine Wahrheit
Der Schüler Doko kam zum Meister und fragte: “ In welchem Geisteszustand muss ich sein, wenn ich nach der Wahrheit suche?“ Der Meister antwortete: „Es gibt keinen Geist, den du in irgendeinen Zustand versetzen könntest, und es gibt keine Wahrheit, die du suchen könntest.“ Doko sagte: „Wenn es weder Geist nocht Wahrheit gibt, warum kommen all diese Schüler täglich zu dir zur Unterweisung?“ Der Meister schaute herum und sagte: „Ich sehe niemanden.“ Der Schüler bohrte weiter: „Warum lehrst du sie dann?“ „Ich habe keine Zunge, wie könnte ich lehren?“, antwortete der Meister. Da sagte Doko traurig: „Ich kann dir nicht folgen; ich verstehe das nicht.“ Der Meister sagte: „Ich verstehe es selbst nicht.“
Als gewandter Redner entwickelt Osho dann während des Vortrags nach und nach die einzelnen Aspekte der Erzählung und bereichert sie mit eigenen Beobachtungen, Erfahrungen und weiteren Geschichten. Hinzu kommen ein oder zwei Teilnehmerfragen, die an das Gehörte anknüpfen. Das Ergebnis sind leicht lesbare Texte voller unterschiedlicher Inhalte psychologischer, spiritueller und lebenspraktischer Art. Dabei gibt es durchaus auch bestimmte grundsätzliche Anschauungen, die Osho wiederholt in Abwandlungen formuliert. Eine davon ist folgende, ebenfalls dem 2. Vortrag entnommen:
Ich gebe euch kein Ziel, keine Wünsche. Es gibt nichts zu erreichen, nirgendwo anzukommen. Wenn ihr das erkennt, seid ihr im selben Augenblick angekommen. In diesem gegenwärtigen Augenblick bist du bereits vollkommen. Nichts muss getan werden, nichts muss verändert werden. Du bist in diesem Augenblick bereits Brahman, das vollkommene Absolute.
Darum sagte der Meister: „Ich verstehe es selbst nicht.“ Ein Meister, der sagt: „Ich verstehe es selbst nicht“, ist schwer zu finden.
Wer ist Osho und wie stellt er sich dar?
Osho und Krishnamurti sind in etwa Zeitgenossen und insofern gibt es einige Parallelen in ihren Denkstrukturen. Als Persönlichkeiten dürfte es aber kaum größere Polaritäten geben. Beide sind sie begabte Redner. Während Krishnamurti jedoch tunlichst alles autoritäre Gehabe von sich weist und seine Aufgabe vor allem darin sieht, die Zuhörer zum eigenständigen Suchen, Fragen und Forschen zu stimulieren, positioniert Osho sich demonstrativ als Guru, als einer, der Verwirklichung erlangt hat und nun ganz für seine Schüler lebt. Er fordert die Schüler auf, sich an ihn hinzugeben, ihm zu vertrauen, damit er in ihnen neues Leben erwecken kann. Er hält keine Distanz zu den Schülern, sondern knüpft im Gegenteil ein starkes emotionales Band.
Die klassische westeuropäische Denkschablone “Sektenführer und Scharlatan” wird ihm jedoch keinesfalls gerecht. Immerhin sind aus seiner Bewegung einige nennenswerte Bereicherungen der modernen Kultur entstanden wie die dynamische Meditation und die Bioresonanz-Therapie. Aber dies sei nur am Rande bemerkt.
Die Lektüre von Osho’s Vorträgen eignet sich für all jene Menschen, die Spiritualität in leicht verdaulicher Form kennenlernen möchten und die sich gerne auf der emotionalen Ebene ansprechen lassen. Einen geordneten spirituellen Schulungsweg mit klaren Kriterien darf man jedoch bei Osho nicht erwarten.
Spiritueller Wert 3/5
Praktischer Wert 4/5
Das Buch „Der Vogel im Wind“ ist online erhältlich über Amazon.at, derbuchhaendler.at, Thalia.at.
Osho, Der Vogel im Wind, Die Weisheit des Zen, 333 Seiten, Ullstein Taschenbuch der Serie „Allegria“, 1. Auflage 2012, ISBN 978-3-548-74541-1.