Ein authentischer Erfahrungsbericht aus dem Buch Kundalini-Yoga.
Der folgende Text-Auszug über das Durchdringen (chakra-bheda) der Energiezentren im Kundalini Yoga ist in mehrfacher Hinsicht sehr interessant. So beginnt das meditative Anschauen der cakra, zu dem der Guru den Schüler anleitet, im Herzen und nicht im untersten Wurzel-Zentrum, und schreitet dann zunächst nach unten und schließlich nach oben fort. Des weiteren scheint es sich bei der geschilderten Erfahrung um ein erstes Wahrnehmen zu handeln und noch nicht um das eigentliche Aufsteigen der Kundalini. Und letztendlich scheint der Schüler solche meditativen Bilder wahrzunehmen, die bereits in einer Art kollektiven Volksgeistigkeit in seiner Seele angelegt sind. Man kann sich vorstellen, dass in einem anderen Kulturkreis die Seelenbilder nicht ganz deckungsgleich sein werden. – M. P. Pandit berichtet:
Während der Vorbereitungen dieses Manuskriptes ist uns ein interessantes Buch in die Hände gefallen “Light on the Path of Self-Realization” (von N. V. Gunaj, Thalakwadi, Belgaum, 1941). Es enthält u. a. Erfahrungsberichte einer Gruppe Yogatreibender. Es folgen einige Auszüge aus dem Bericht eines Schülers, die als praktische Erläuterung der hier beschriebenen Wahrheiten ganz nützlich sein können:
“…Dann sah ich plötzlich ein Licht, das von Tag zu Tag größer wurde, als breite sich Sonnenschein aus, und ich begann die Hitze zu spüren. Dann veränderte sich das Licht; es erschien so kühl wie das Mondlicht, und ich erfuhr ein Gefühl der Freude und Ruhe. Einige Tage später erschienen in der Herzgegend schwarze Steine, aus denen Flammen schlugen. Wieder einige Tage später erschien in den Flammen ein Blütenstengel, an dem eine Blüte hing, deren Blütenblätter nach unten wiesen. Nach einigen Tagen bogen sich die Blütenblätter nach oben. Der Guru sagte: “Das ist der Herzlotus. In einigen Tagen wirst du ihn genau sehen, und seine Blütenblätter werden dann geöffnet sein.” Die Flammen schienen auszugehen und unterhalb des Blütenstengels schien Wasser zu sein. Dann öffneten sich die Blütenblätter eines nach dem anderen, einige wiesen nach oben, andere nach unten, und ich erkannte einen roten Lotos, wie er im allgemeinen auf den Bildern der Göttin zu sehen ist.
Die Buchstaben sind die Samen der Lotosblüten
Nach einigen Tagen erschienen auf den Blütenblättern schwarze Flecken, in denen sich nach einiger Zeit Buchstaben abzeichneten. Ich fragte den Guru, was es mit den Buchstaben auf sich habe. Er antwortete, dass sie die Samen dieses Lotos seien, und dass er mich später zum Nabellotos führen werde…
Beim Fortschreiten auf den Nabellotos erschienen zunächst schreckliche Flammen; dann erschien nach einigen Tagen der Nabellotos. Er gleicht dem Herzlotos, nur waren die Blütenblätter etwas anders. Nach etlichen Tagen sah ich Umrisse von Sesasayi (Vishnu auf der Schlange schlafend), sie waren jedoch undeutlich. Dem Nabel Vishnus entstieg eine Lotospflanze und auf der Blüte schien Brahmadeva zu sitzen…
Dann sagte der Guru: “Ich werde dir heute die Kundalini zeigen: Die Kundalini ist bei den Yogaübungen der wichtigste Punkt. Versenke dich in Ganapati!” (Ganapati oder Ganesha ist der Sohn Shivas und Parvatis; er wird mit einen Elefantenkopf dargestellt. Ganapati ist der Gott der Weisheit; er entfernt Hindernisse und gewährt Erfolg im spirituellen wie im weltlichen Leben. D. Ü.)
Das tat ich, und nach einiger Zeit sah ich nahe dem Hüftknochen weit unter Ganapati eine dreieckige Grube. Wilde Flammen schlugen daraus hervor. Ich hatte in verschiedenen Teilen des Körpers ein brennendes Gefühl und mein ganzer Körper transpirierte. Schon vorher hatte ich zwei- oder dreimal Flammen gesehen, aber sie waren nie so ungeheuer heiß wie diese. Dieses Bild sah ich einige Tage lang, dann verschwanden die Flammen, und ich konnte die dreieckige Öffnung klar erkennen. Aus der Öffnung schienen zwei dünne Röhren aufzusteigen. Zwischen den beiden Röhren war ein hoher Kanal von derselben Größe. Ich fragte den Guru danach, und dieser antwortete: “Die beiden dünnen Röhren sind die beiden Nerven Ida und Pingala, und der hohle Kanal in der Mitte ist die Sushumna. Diese drei sind die Hauptnerven. Wenn wir durch die Nase atmen, atmen wir durch diese Nerven. Die Schlange, die Du unter den Röhren gesehen hast, ist die Kundalini. Im Körper eines gewöhnlichen Menschen schläft sie stets. Ihr Mund ist nahe der Bauchöffnung und sie schluckt ständig Nektar. Erwacht die Kundalini, so wird der Mensch ein Yogi. Bei der Erweckung ist der Yogaweg sehr vorsichtig zu beschreiten, es sind viele Beschränkungen zu beachten. Erwacht die Kundalini und ihr Mund weist nicht aufwärts, so kann der Mensch nicht weiterleben. Daher muss der Mensch, der sie erweckt, große Kraft haben. Beim Aufwärtssteigen der Kundalini durch die Sushumna erlangt der Mensch immer neue Kräfte. Hiervon werde ich dir später erzählen. Jetzt gehen wir zum zweiblättrigen Lotus über.”
Das strahlende Licht des tausendblättrigen Lotos
Mein Guru wies mich an, mich jetzt auf die Stelle zwischen den Augenbrauen zu konzentrieren. Nach einigen Tagen der Übung sah ich den zweiblättrigen Lotos. Als der Guru mich bat, ihn zu beschreiben, sagte ich, der Lotos hätte auf jeder Seite ein Blatt. Er sagte: “Das ist der Dvidal (zweiblättrige Lotos). Es ist die Wirkungsstätte des Guru. Wenn wir die Hilfe unseres Guru wünsche, sollten wir uns darauf konzentrieren.” Nach weiterer Übung begann ich, auf der Stirn ein Auge zu erkennen. Ich fragte den Guru danach. Er antwortete, es sei das dritte Auge Sri Shankaras und bat mich, weiterzuüben. Er fügte hinzu: “Ich zeige dir gerade diese Stellen. Du musst dich auf jede kontentrieren und sie festhalten. Ohne dies erlangst du keine Macht über den jeweiligen Punkt. Ich zeige dir all dies, damit du, auch wenn du dich in meiner Abwesenheit konzentrierst und dein Geist etwas abschweift, in der Lage bist, ihn wieder zum richtigen Punkt zurückzuführen. Darum habe ic dir all die verschiedenen Zentren gezeigt. Nun werde ich nicht länger benötigt. Du muss deine Übungen fortführen und das Ziel des menschlichen Lebens erreichen: Es wird für dich gar keine Gefahr dabei geben. Es bleibt jetzt nur noch ein Zentrum übrig, und zwar das Sahasradala (der tausendblättrige Lotos). Von morgen an werden wir uns auf dieses Zentrum konzentrieren.”
Am nächsten Tag fuhren wir mit den Übungen fort. Ich sah ein oder zwei Zentren, die jedoch nicht klar zu erkennen waren, nur das OM konnte ich zwischen ihnen unterscheiden. Nachdem ich das OM verlassen hatte und weiter voranging, erschien in großer Entfernung etwas wie ein majestätischer Tempel. Ich glaube, dass der tausendblättrige Lotos sich im Innern des Tempels befand, da er unzählige Blütenblätter besaß. Er war von einem derart schwindelnden Glanz, dass ich ihn nicht einmal mit dem inneren Auge ansehen konnte. Daher war es für einen Schüler wie mich ganz unmöglich, mich ihm mehr zu nähern. Das Licht war von bläulicher Farbe und außerordentlich strahlend.“
Das ist das berühmte Chakra-Bheda, das Durchdringen der Zentren.
(M. P. Pandit, Kundalini-Yoga, mit ausführlicher Erläuterung der Chakras, Drei-Eichen-Verlag München, S. 76-81)
Teil I Was ist eigentlich Kundalini Yoga?
Teil II Der Kundalini Yogi als lebendig Befreiter im Selbst
Teil III Kundalini Yoga als höchster Yoga
Teil IV Ist die Kundalini Shakti zerstörerisch oder segensvoll?
Teil V Bericht eines Kundalini-Yoga-Schülers
Bildquellennachweis (18-02-17): redirkino.ru, yogatime.tv