Einübung im Christentum, Sören Kierkegaard

Einübung im Christentum – Zwei kurze ethisch-religiöse Abhandlungen – Das Buch Adler

Einübung im Christentum, Sören KierkegaardRezension derjenigen Schriften von Sören Kierkegaard, die er am Beginn seiner Auseinandersetzung mit der dänischen Staatskirche verfasst hat.

Sören Kierkegaard gilt als einer der unabhängigsten Denker und Philosophen, als Vorläufer des Existenzialismus, aber auch in der modernen Theologie wird er rezipiert. Sein Kampf als Individuum gegen die machtvolle und in seinen Augen degenerierte dänische Staatskirche ist einzigartig in der Geschichte. Letztlich hat er dafür sein ganzes Leben geopfert und ist mit 42 Jahren an Erschöpfung gestorben. Zwar wurde noch zu seiner Lebenszeit im Jahr 1848 die Personalunion des dänischen Königs mit dem Oberhaupt der dänischen Kirche abgeschafft. Seitdem und zwar bis zum heutigen Tag ist das dänische Parlament auch für Kirchenfragen zuständig und es gibt ein eigenes Kirchenministerium.

Die Christenheit hat das Christentum abgeschafft

Die Einübung im Christentum umfasst drei Teile, die jeweils an einem Bibelzitat anknüpfen. In einem einleitenden Abschnitt nennt Kierkegaard sein Anliegen:

Die Christenheit hat das Christentum abgeschafft, ohne es selbst richtig zu entdecken; die Folge ist, dass man versuchen muss, das Christentum wieder in die Christenheit einzuführen, wenn etwas geschehen soll.

Kommet alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe geben.“ – So lautet das erste Bibelzitat, das im folgenden Wort für Wort betrachtet und in immer neuen Wiederholungen interpretiert wird. Dieser Stil des immer wieder neuen Wiederholens einer biblischen Aussage, um sich in möglichst authentisch der Person Christi nahekommenden Betrachtungen darin zu vertiefen, ist mit das beeindruckendste Element in diesem Text. Der Leser bekommt eine Ahnung davon, wie „Christ sein“ bedeuten kann, dass man sich mit seiner ganzen Person in die Geheimnisse des Lebens Christi vertieft. Das Christentum im Sinne von Sören Kierkegaard erscheint als ein Einweihungspfad, dem man sich nur innerlich ganz hingeben kann, will man authentisch sein:

Ob also mehr von ihm gefordert wird, wird ihn Gott wohl verstehen lassen; doch wird dies von jedem gefordert, dass er sich vor Gott aufrichtig unter die Forderungen der Idealität demütige. Und darum müssen diese Forderungen immer und immer wieder in ihrer ganzen Unendlichkeit gehört werden. Christ zu sein, ist ein Nichts geworden, ja, ein Narrenkunststück – jeder ist es scheinbar ohne weiteres und kommt leichter dazu als zu dem allerunbedeutendsten Kunststück. Wahrhaftig, es ist hohe Zeit, dass die Forderungen der Idealität gehört werden.

Selig, wer sich an mir nicht ärgert

Sören Kierkegaard_nilesfilmfiles.blogspot.chKierkegaard ist mit seiner Haltung damit weit entfernt von dem so modernen religiösen Fundamentalismus, der eine bestimmte Haltung in äußerer Hinsicht zum Dogma erhebt und für andere verbindlich machen und mit Gewalt durchsetzen möchte. Er geht vielmehr einen inneren Pfad und fragt sich, wie er immer mehr den Forderungen der Idealität, die aus dem Vorbild des Lebens Christi selbst hervorgehen, gerecht werden kann.

Im zweiten Teil seiner Abhandlung bezieht sich Kierkegaard auf das Bibelzitat „Selig, wer sich an mir nicht ärgert.“ Wieder greift er damit einen sehr interessanten Aspekt des Christentums heraus, indem er aufzeigt, wie Christus, indem er auf göttliche Weise in einer Menschengestalt wirkt, ein unmittelbares Ärgernis für all diejenigen darstellen muss, die jeglichen Fortschritt verweigern und nur an der eigenen Bequemlichkeit festhalten möchten.

Auch aus dem dritten Teil, der sich auf die Bibelstelle „Von der Herrlichkeit will er alle zu sich ziehen“ bezieht, möchte ich einen Abschnitt zitieren, der die Tiefsinnigkeit und den christlichen Geist der Reflexionen Kierkegaards veranschaulicht:

Das Höhere muss das Niedere zu sich ziehen – wie eben Christus, der unendlich Höchste, wenn er als wahrer Gott und Mensch alle von der Herrlichkeit zu sich ziehen will. Der Mensch aber, um den es sich ja handelt, ist an sich ein Selbst. Deshalb will Christus vor allem jedem Menschen helfen, ein Selbst zu werden und fordert wiederum vor allen Dingen von ihm, dass er dadurch, dass er in sich geht, ein Selbst werde, um ihn darauf zu sich zu ziehen. Er will den Menschen zu sich ziehen; um ihn aber in Wahrheit zu sich ziehen zu können, will er diesen Menschen nur als freies Wesen zu sich ziehen und zwar durch eine Wahl.

Sich für die Wahrheit totschlagen lassen?

Die erste der beiden ethisch-religiösen Abhandlungen befasst sich mit der Frage „Darf ein Mensch sich für die Wahrheit totschlagen lassen?“ Der Autor nennt es einen dichterischen Versuch, indem er darüber reflektiert, ob das, was mit Christus geschehen ist, in derselben Weise für einen anderen Menschen gültig ist. Und er stellt fest: Christus konnte es nicht vermeiden, dass die Menschen an seinem Tode schuldig werden, da er die Wahrheit selbst war, aber er betete noch für sie am Kreuz. Als Christ im Verhältnis zu anderen Menschen dürfe man es aber aus Liebe nicht zulassen, dass andere am eigenen Tod schuldig werden.

In der zweiten Abhandlung dann befasst sich Kierkegaard mit der Unterscheidung zwischen einem Genie und einem Apostel. Er lehnt sich damit gegen die damals gängige Predigerpraxis auf, das Urchristentum und das Werk der Apostel in bloßer ästhetischer Darstellung zu schildern. Dabei ist der Eindruck, wie sehr das Leben eines Apostels ganz von seinem Sendungsauftrag – Kierkegaard verwendet hierfür das griechische Wort telos, die Zielgerichtetheit – durchdrungen war, ganz abhanden gekommen.

Gegen die sogenannte Hegelsche Dialektik

Hegel_blog.daum.net

Georg Wilhelm Friedrich Hegel, 1831

In dem „Buch Adler“ schließlich setzt sich Kierkegaard mit der Person von Adolph Peter Adler auseinander, einem Zeitgenossen und seines Zeichens Priester und ein Doktor der Philosophie, der sich sehr viel mit dem deutschen Philosophen Hegel befasst hatte. Dieser Dr. Adler hatte ein Buch mit Predigten herausgegeben, von dem er sagte, es sei ihm als göttliche Offenbarung eingegeben worden. Da er den Vorwurf, während des Schreibens in einem „exaltierten Sinneszustand“ gewesen zu sein, nicht von sich weisen konnte, wurde er sehr bald von seinem Pfarrerdienst suspendiert.

Ohne von vornherein zu urteilen, ob es nun eine Offenbarung war oder nicht, untersucht Kierkegaard akribisch genau die Argumentation, die Adler zu seiner Verteidigung gegenüber dem Bischof geführt hatte. – Zu guter Letzt setzt Sören Kierkegaard sich anhand der Person Adlers mit der Philosophie von Hegel auseinander, welche er sehr kritisch betrachtet.

Aufgrund der aktuellen Thematik, nämlich der Kritik an der Staatskirche und der ernsthaften Frage nach dem wahren Wesen des Christentums bietet das vorliegende Buch eine gute Einstiegsmöglichkeit in das Denken von Sören Kierkegaard. Seine Sprache ist nicht kompliziert, aber das Buch atmet meines Erachtens einen tiefen christlichen Geist. Es eignet sich zur Lektüre für Personen, die sich für originale christliche Spiritualität interessieren.

Das Buch kann online erworben werden über Amazon.at, derbuchhaendler.at. Die Einübung im Christentum ist als extra Band ohne die beiden anderen Schriften bei Thalia.at erhältlich.

Spiritueller Wert 5/5
Praktischer Wert 1/5

 

Sören Kierkegaard, Einübung im Christentum – Zwei kurze ethisch-religiöse Abhandlungen – Das Buch Adler, 576 Seiten, dtv-Verlag 2005, ISBN 978-3423133852

Bildquellennachweis: Amazon, nilesfilmfiles.blogspot.com, blog.daum.net

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