Eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts ist Anandamayi Ma.
Sie wurde am 30. April 1896 im heutigen Bengalen geboren. Ihr Leben scheint ein kompletter Ausdruck dessen zu sein, was man unter dhyana verstehen kann: das ständige Einssein mit dem innersten Selbst.
Ein Kind, ein Mädchen rein wie eine Blume
In verschiedenen Biographien wird berichtet (siehe Buchempfehlungen unten), dass Nirmala Sundari Devi, so ihr Geburtsname, bereits als besonderes Kind auffiel. Zum Beispiel glitt sie öfters in einen entrückten Bewusstseinszustand, während ihr frommer Vater sich dem Singen religiöser Lieder widmete. Auch ihre stets heitere und freudige Natur scheint außerordentlich gewesen zu sein. Da ihre Eltern eine arme Brahmanenfamilie bildeten, verlief das Leben von Nirmala Sundari zunächst in ganz traditionellen Bahnen. Mit zwölf Jahren wurde sie verheiratet, lebte aber zunächst im Haus ihres Schwagers, bis sie im Alter von 18 Jahren mit ihrem Mann Ramani Mohan Chakravarti einen eigenen Hausstand gründete.
Dieser sah sich allerdings damit konfrontiert, dass jedesmal, wenn er sich seiner jungen Gattin mit Gedanken an körperlicher Liebe näherte, diese ohnmächtig wurde und ihr Körper erstarrte, so dass das Eheverhältnis von Anfang an gezwungenermaßen ein zölibatäres war. So musste er begreifen, dass seine Frau in einem spirituellen Dasein gegründet war und er nahm später die Schülerschaft zu ihr an und war ihr Zeit seines Lebens ein treuer Beschützer. Der große Yogi Shivananda nannte Anandamayi Ma, wie sie schon bald von ihren Verehrern genannt wurde, “die vollkommenste Blume, die der indische Boden jemals hervorbrachte.”
Kheyal, das Sprechen aus dem Einheitsempfinden
Mehrmals wechselten die beiden Ehegatten den Wohnort, wenn es die beruflichen Belange von Ramani Mohan, der später Bholanath genannt wurde, erforderten. Als Anandamayi Ma 33 Jahre alt war, errichteten ihre Schüler den ersten Ashram für sie. Das Einheitsempfinden nahm in ihrem Leben eine solch konkrete Form an, dass sie sehr unmittelbar auf die Einflüsse in ihrer Umgebung reagierte. Dies konnten die atmosphärischen Einflüsse sein oder die Personen, die sie aufsuchten. Ihre Worte und Gesten folgten nicht den gewöhnlichen Konventionen, sondern waren immer ein direkter Ausdruck eines höheren Bewusstseins, ein Kheyal. Sita Devi B. Gottschalk schreibt dazu: „Kheyal ist ein spontaner Impuls aus einer Art überbewussten Intuition, der in keinster Weise einem eigenen Willen oder Wunsch entspringt, sondern mit unfehlbarer Sicherheit auf die bewussten oder unbewussten Bedürfnisse der Menschen in der Umgebung reagiert.“
Vor allem von ihrem 22. bis zum 28. Lebensjahr geschah es in intensiver Weise, dass Anandamayi Ma unwillkürlich yogische Praktiken wie asana, pranayama und mantra-Rezitation praktizierte, ohne dass sie jemals darin instruiert geworden wäre. Sie rezitierte selbst Sanskrit-Verse, obwohl sie die Schule nur für etwa zwei Jahre besucht hatte und gewöhnlich nur in Bengali sprach. Allerdings hat sie wohl bereits am ersten Schultag das gesamte Bengali-Alphabet gelernt.
Mantra-Lieder und Kirtan
Im Laufe ihres Lebens förderte Anandamayi Ma sehr den Kirtan, das gemeinschaftliche Singen religiöser Mantra-Lieder. Es ist interessant, wenn man sie singen hört, wie absolut rhythmisch, präsent und zugleich rein die Stimme erklingt. Jedenfalls entspricht sie gar nicht der Vorstellung, die man von einer entrückten und frommen Heiligen in schnellfertiger Weise haben könnte. Auch im Umgang mit Schülern konnte sie, wenn auch liebevoll, zeitweilen sehr streng sein und sie wegschicken, damit sie eine Zeit des sadhana, der religiösen Übung, verbrachten oder sie brach selbst unvermittelt zu einer Reise auf, um keine zu große Anhaftung an ihre Person zuzulassen. Aber auch sonst unternahm sie sehr viele Reisen durch ganz Indien.
Der Kern ihrer Lehren war, dass man die Selbstverwirklichung als das primäre Ziel im Leben anstreben sollte und alles andere zweitrangig sein sollte. Dies hat in ihrem eigenen Leben eine so große Dimension angenommen, dass sie zunächst über lange Phasen sehr wenig Nahrung zu sich nahm und ab dem 28. Lebensjahr sich nicht mehr mit eigenen Händen ernährte, da ihr die Nahrung oft einfach aus den Fingern entglitt. Von da an übernahmen es andere, ihr die Nahrung zuzuführen.
Die weibliche Seite der religiösen Verwirklichung
Es wird berichtet, dass andere zeitgenössische Gurus und große Meister Anandamayi Ma zunächst nicht akzeptieren wollten, da sie eine Frau war. Viel mehr als in europäischen Zonen gelten in Indien noch traditionelle Rollenbilder und Frauen hatten gewöhnlich keine religiösen Führungspositionen inne. Anandamayi Ma ist aber trotz ihrer großen Bekanntheit und Berühmtheit niemals aus ihrer Frauenrolle herausgetreten und hat zum Beispiel nie gegen den Willen ihres Mannes gehandelt. Am beeindruckendsten aber ist gerade ihre Reinheit und Schönheit, die ihr auch im hohen Alter noch eine große anziehende Ausstrahlung verliehen haben. Selbst in der liegenden Pose wie auf dem Foto drückt sich eine kindliche Unschuld und Interesse am Gegenüber aus.
Am 27.August 1982, im Alter von 86 Jahren, ging Anandamayi Ma in den Mahasamadhi ein, so nennt man das (bewusste) Verlassen des Körpers bei großen eingeweihten Personen. In Kankhal, in der Nähe von Rishikesh befindet sich heute der Hauptashram, wo auch Besucher aus dem Westen willkommen sind.
Kostenlose und authentische Informationen finden sich im Internet anlässlich des Besuchs von Swami Bhaskarananda in Deutschland im Jahr 2005.
Das Bild unten zeigt Anandamayi Ma zusammen mit ihrem Ehemann und Schüler Ramani Mohan Chakravarti.
Empehlenswerte Bücher:
Leben und Weisheit der Glückseligen Mutter Anandamayi Ma. Aktuellstes Buch aus dem Jahr 2011, das sowohl einen biographischen Teil als auch eine Sammlung mit Texten enthält. Erhältlich bei Amazon.at
Der Weg der göttlichen Mutter: 40 Jahre in Indien mit Anandamayi Ma. Die Zusammenstellung von Texten aus den Tagebüchern von Atmananda, einer Österreicherin und Schülerin von Anandamayi Ma vermittelt authentische Eindrücke sowohl ihres Lebens als auch dem Lehrer-Schüler-Verhältnis zwischen den beiden Personen. Ebenfalls online erwerbbar über Amazon.at
Matri Vani II, Sammlung von Worten, die Anandamayi Ma an ihre Schüler richtete. Zu bestellen bei derbuchhaendler.at
Bildquellen (17-07-22): Wikipedia, saitowers.com, theindiespiritualist.com, blog.sivanaspirit.com, jayakula.org, jet-society.com