Rezension der Hinführung zur Bhagavad Gita aus der Feder des Indologen Wilfried Huchzermeyer sowie der Yoga-Lehrerin und Künstlerin Jutta Zimmermann.
Die vorliegende Broschüre beantwortet den Bedarf an hinführenden Worten über eine jahrtausendealte Schrift, die bis heute nichts an Aktualität verloren hat. Die Bhagavad Gita ist heute kein Text mehr, der lediglich Fernostexperten oder Indologieprofessoren interessieren würde. Ihre zeitlose Botschaft wird von vielen spirituell suchenden oder Yoga praktizierenden Menschen gerne aufgesucht. Ohne Kenntnisse des zeitgeschichtlichen und philosophischen Hintergrunds mag die Lektüre der Bhagavad Gita allerdings eine etwas schwer verdauliche Kost darstellen. Hier schafft das Werk von W. Huchzermeyer und J. Zimmermann Abhilfe.
Eintauchen in die Welt der Bhagavad Gita
Eine eigentümliche antike Welt eröffnet sich dem Leser, wenn er die ersten Seiten der Bhagavad Gita aufschlägt: Ein Schlachtfeld, auf dem zwei Heere kampfbereit sich gegenüberstehen. Der „Held“ der Geschichte, der Krieger Arjuna steht auf seinem Streitwagen und bittet seinen Wagenlenker – den göttlichen Krishna – ihn zwischen den Heeren durchzuführen, damit er die Krieger zu beiden Seiten betrachten könne.
Nach einer Vorbemerkung zur Bedeutung der Gita führt der Autor den Leser in die Vorgeschichte der Kampfszene ein und porträtiert die beiden Akteure Arjuna und Krishna.
Man kann nicht über die Bhagavad Gita sprechen, ohne auf die Eigentümlichkeiten der Sanskrit-Sprache zu verweisen. Und so ist gleich das nächste Kapitel der „Bhagavad Gita als Dichtung“ gewidmet, denn das Epos ist in einer traditionellen rhythmischen Versform geschrieben. Die Autoren weisen darauf hin, dass das Rezitieren dieser Verse eine Möglichkeit sein kann, damit die Schrift zu einem wahren „Erlebnis“ wird.
Die Yogapfade in der Bhagavad Gita
Die weiteren, von Jutta Zimmermann verfassten Kapitel widmen sich den drei großen Yogapfaden, wie sie in der Bhagavad Gita zur Darstellung kommen: Karma-Yoga, der Yoga des Handelns frei von Anhaftungen, Jnana-Yoga, der Yoga der Erkenntnis des Höchsten Selbst und Bhakti-Yoga, der Yoga der hingebungsvollen Verehrung des Göttlich-Geistigen.
Wichtige philosophische Begriffe wie tamas, rajas und sattva, die Qualitäten des Dunkel-Schweren, des Leidenschaftlich-Bewegten und des Weisheitsvoll-Reinen sowie einige andere, finden ebenfalls zur Darstellung.
Auch die Rezeptionsgeschichte der Bhagavad Gita im Westen fehlt nicht, ebensowenig wie wichtige Mantren und die achtzehn verschiedenen Namen, mit denen Krishna in der Dichtung benannt wird. Von Jutta Zimmermann gibt es schließlich separat erhältlich eine CD mit Versrezitationen. Die entsprechenden Verse sind am Schluss des Buches aufgeführt. Ein Glossar und Hinweise zur Aussprache indischer Namen komplettieren das Werk. Jutta Zimmermann hat auch die Zeichnungen zu dem Buch selbst angefertigt.
Annäherung von verschiedenen Seiten
Wilfried Huchzermeyer und Jutta Zimmermann haben sich hier für ein schönes Gemeinschaftswerk zusammengefunden, das eine Annäherung an die Bhagavad Gita von verschiedenen Seiten ermöglicht. Gleichzeitig ist das Buch in einfacher Sprache gehalten und frei von abgehobener Wissenschaftlichkeit. Der Leser lernt die geschichtliche Einbettung der Bhagavad Gita in die Erzählung des großen indischen Epos Mahabharata kennen. Zugleich begreift er, dass diese Rahmenhandlung vor allem der Eröffnung eines philosophischen Diskurses dient, der durch seine Tiefe und Menschenkenntnis bis heute faszinierend ist.
Für diejenigen, die noch gar keine Ahnung von fernöstlicher Philosophie haben – und für solche Leser ist das Buch schließlich gedacht – möchte ich hier eine längere Textpassage wiedergeben, wo die Rolle der Qualitäten tamas, rajas und sattva aufgegliedert wird:
Aus dem Kapitel „Gleichmut und Gelassenheit“
„…jeder weiß: Wenn die Elemente in uns erhitzt sind, gibt es Augenblicke, wo Selbstbeherrschung und Gleichmut unmöglich erscheinen. So erklärt Krishna in der Gita:
Selbst bei dem Weisen, der nach Vollkommenheit trachtet, wird das Bewusstsein durch das heftige Drängen der Sinne fortgerissen, o Sohn der Kunti.//II.60//
Ein erster Schritt auf dem Weg zur Gelassenheit ist es, uns selbst zu verstehen. Die Gita erklärt uns unsere eigene Natur mit Hilfe der Lehre von den drei Gunas oder Seinsweisen: tamas, rajas und sattva. Tamas ist das Prinzip der Trägheit und Passivität. Es bedeutet auch „Dunkelheit“ im Sanskrit. Dieses Element will seine Ruhe haben und möglichst nicht mit Schwierigkeiten konfrontiert werden. Allerdings mag es auch seine positive Seite haben, indem es z. B. dafür sorgt, dass wir uns nach großer Anstrengung wieder ausreichend regenerieren und die körperliche Solidität wahren.
Rajas ist das Element von Leidenschaft und dynamischer Kraft. Es lässt uns aktiv werden, zum Guten oder zum Bösen. Ohne die sprudelnde Lebenskraft von Rajas ist auch Sattva ein blutloser Geselle.
Sattva ist das lichtvolle Element in uns, verbunden mit Klugheit, Rationalität und Ausgeglichenheit. In unseren guten Augenblicken manifestieren wir vor allem Sattva. Wir sind „vernünftig“, wie man sagt, gegenüber uns selbst und anderen. Wir vermeiden Extreme und sind maßvoll.
Die Gunas treten ständig in allen erdenklichen Kombinationen auf und erzeugen eine Art Fluktuation zwischen verschiedenen Daseinsmodi. Hilfreich für jegliche Form des Yoga ist Sattva, denn es geht einher mit ruhigem Geist und Gemüt. Aber selbst Sattva kann zum Hindernis werden durch ein Festhalten an einem begrenzten mentalen Licht und durch das Verlangen, Frieden durch behagliche äußere Umstände zu sichern. Werden diese gestört durch unabwendbare Entwicklungen oder Schicksalsschläge, ist es mit der Ruhe dahin.
Daher lehrt die Gita, dass selbst Sattva nicht das letzte Wort sei, sondern dass alle drei Gunas zu transzendieren sind. Jenseits von ihnen liegt die Ebene des Atman, des unendlichen, unvergänglichen spirituellen Selbstes. In ihm soll der wahre Yogi ruhen und unerschütterlichen Frieden finden:
Du aber werde frei von den drei Gunas, o Arjuna! Sei ohne Gegensätze und immer fest im wahren Sein gegründet, frei von dem Verlangen nach Erwerb und Besitz, fest im Selbst. //II.45//
Fest gegründet im Yoga, vollbringe Werke als einer, der jegliche Anhaftung aufgegeben hat und gleichmütig geworden ist gegenüber Misserfolg und Erfolg. Denn Gleichmut ist Yoga. //II.48//
Er, dessen Geist inmitten von Leid unerschüttert bleibt und frei von Verlangen inmitten von Freude – von dem Vorliebe, Furcht und Zorn gewichen sind -, er ist der Weise, dessen Verstehen auf sicherem Grunde ruht. //II.56//
…“ (S.64/65)
Dieser Textabschnitt ist ein schönes Beispiel dafür, wie die Bhagavad Gita, bzw. Krishna, den Blick immer wieder über das Irdische hinaus auf die geistige Ebene als eigentlich wesentliche Existenzebene und Kraftquelle für das Dasein auf der Erde lenkt.
Das Erlebnis Bhagavad Gita sollten alle Menschen sich gönnen, die noch keine oder wenig Kenntnis über die Bhagavad Gita besitzen. Wer Yoga praktiziert, wer philosophisch oder auch sprachlich an dem Werk interessiert ist, wird die Lektüre sehr bereichernd erleben.
Wer jedoch mit der Bhagavad Gita selbst schon etwas vertraut ist, wird vielleicht nur wenig Neues in dem vorliegenden Büchlein erfahren. Für diesen Personenkreis wäre wohl eher ein Buch wie Erkenntnisgrundlagen zur Bhagavadgita (Heinz Grill) zu empfehlen, das demnächst hier rezensiert werden wird.
Spiritueller Wert 2/5
Praktischer Wert 5/5
Wilfried Huchzermeyer + Jutta Zimmermann, Erlebnis Bhagavad Gita, 138 Seiten, Taschenbuch, edition sawitri 2000, ISBN 3931172147.
Das Buch ist online erhältlich über Amazon.at, derbuchhaendler.at, suedwind-buchwelt.at.
Bildquellennachweis (20-11-05): Amazon
Deine Rezension macht richtig Lust auf dieses Buch. Dankeschön!
Liebe Grüße, Tanja