Rezension des Tonband-Tagebuchs von Jiddu Krishnamurti.
Vom 25. Februar 1983 bis zum 30. März 1984 führte Krishnamurti eine Art Tagebuch mittels Tonbandaufnahmen, da er bereits zu zittrig zum Schreiben war. Es sind die letzten Aufzeichnungen dieser Art, bevor er am 17. Februar 1986 verstarb.
Krishnamurti offenbart sich in diesen Selbstgesprächen nicht als Pädagoge wie in seinen vielen Vorträgen vor zum Teil sehr großem Publikum. Hier in der Stille, allein mit sich selbst, zeigt er sich als Philosoph und poetischer Dichter. Seine überwiegend nur kurzen Aufzeichnungen beginnen meist mit einer Naturbeobachtung, einer Naturbegegnung in seiner Wahlheimat Ojai Valley in Kalifornien. Zum Teil sind es auch Erinnerungen an einen seiner Indienaufenthalte. Eine kleine, für den unaufmerksamen Spaziergänger bedeutungslose Begebenheit gibt ihm Anlass zu Betrachtungen über das Wesen des Menschen.
Das Wort Meditation vergessen
So ist es einmal das Umfangensein von der kühlen Morgenluft auf einem Berg, das ihn zum Nachsinnen über den Begriff der Meditation anregt:
Du solltest wirklich das Wort Meditation vergessen. Das Wort ist verfälscht worden. Die gewöhnliche Bedeutung dieses Wortes – über etwas nachsinnen, betrachten, nachdenken – ist recht trivial und gewöhnlich. Wenn du das Wesen der Meditation verstehen willst, solltest du das Wort wirklich vergessen, denn du kannst unmöglich mit Worten messen, was nicht messbar ist, was über alles Maß hinausgeht. Worte können es nicht vermitteln, noch irgendwelche Systeme und Denkweisen, weder Übung noch Disziplin. Meditation – oder besser wir fänden ein anderes Wort, das nicht so entstellt, so gewöhnlich, so verfälscht worden ist, zu einem Mittel, um eine Menge Geld zu verdienen – wenn du das Wort beiseite lassen kannst, dann wirst du leise und sanft eine Bewegung verspüren, die nicht aus der Zeit kommt… Eine Bewegung im Sinne einer Welle, eine Welle, die nirgends beginnt und sich an keinem Strand brechen kann. Es ist eine endlose Welle. Zeit hat nichts damit zu tun.
Ist das Denken universal in seiner Art?
Manchmal führt Krishnamurti in seinen Betrachtungen aber auch einen imaginären Gesprächspartner ein, mit dem er dann gewisse Fragen, wie zum Beispiel die Frage nach dem Sinn des Lebens und Sterbens erörtert. In diesem Kontext kommt er auf eine wesentliche ihm eigene philosophische Anschauung zu sprechen, nämlich dass das Individuum in den Tiefen seiner Psyche nicht getrennt ist von den anderen Menschen. Er tut dies allerdings nicht definitiv, sondern mit dem Mittel der Frage:
„Ist das Denken überhaupt individuell? Oder gibt es nur das Denken, an dem die ganze Menschheit Anteil hat, ob Sie nun die größte wissenschaftliche Begabung sind oder der unwissendste, primitivste Mensch?“
Die Selbstgespräche sind reich an poetischen Bildern, welche eine Ahnung von der Würde und auch von der Tragik des Menschseins schenken. Die bloße Philosophie wird damit herausgehoben zu einem dichterischen Kunstwerk, welches unabhängig von den äußeren Worten zusätzlich eine eigene Aussage vermittelt. Das letzte Tagebuch Krishnamurtis kann wahrlich als ein reifer Ausdruck eines erfüllten Lebens wahrgenommen werden, ein Leben, das der philosophischen Erweckung der Mitmenschen gewidmet war.
spiritueller Wert 5/5
praktischer Wert 2/5
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Krishnamurti, Selbstgespräche, Das letzte Tagebuch, 172 Seiten, Aquamarin Verlag, 4. Auflage 2007, ISBN 978-3-89427-016-2
Bildquellennachweis (18-01-02): Amazon, keywordsuggest.org