Biografie von Thích Nhất Hạnh, Teil II.
Während die Amerikaner den Vietnamesen jede menschliche Würde absprachen und sie als „Termiten“ bezeichneten, handelt es sich in Wirklichkeit um ein Land mit einer jahrtausendealten Kultur. Besonders die Poesie ist tief im Volksgeist verankert und so lag es für Thay nahe, seine Erlebnisse und Reflektionen in poetischer Form zu verarbeiten. Gerade für die Schule der Jugend für Soziale Dienste waren seine Werke und Gedichte ein tiefer Impuls. Er veröffentlichte seine Werke, von denen sich sehr viele dem Thema der Achtsamkeit widmen, in dem 1964 gegründeten Verlag Boi Press.
Der internationale Einsatz für den Frieden
Als es erneut aus Protest gegen die herrschenden Zustände zu Selbstverbrennungen von Mönchen kommt, schreibt Thích Nhất Hạnh im Jahr 1965 einen Brief an Martin Luther King jr., wo er ihm erklärt, dass es sich bei diesen Aktionen nicht um einen Suizid handele, sondern um einen Ausdruck von Solidarität mit dem leidenden Volk. Der Mönch gäbe sein Leben, damit die Herrschenden ihre Politik ändern mögen, aber er rufe damit nicht zur Gewalt gegen die Herrschenden auf. Und er fügt hinzu:
So hoffe ich, dass der Kampf für Gleichheit und Freiheit, den Sie in Birmingham, Alabama, führen, nicht gegen die Weißen gerichtet ist, sondern gegen Intoleranz, Hass und Diskriminierung. ¹
In diesem Sommer kommt es zu einer wichtigen Begegnung, als Alfred Hassler, der Präsident der Fellowship of Reconciliation (FOR) ihn aufsucht. Dieser international agierende Versöhnungsbund wird für die weltweite Friedensbewegung eine zentrale Rolle spielen. Die beiden Männer schätzen sich gegenseitig und einigen sich darüber, dass sie den Weg der Gewaltlosigkeit proklamieren wollen. Ein Resultat dieses Kontakts ist eine Einladung an Thay im darauffolgenden Jahr, an der Cornell-Universität in Ithaca, New York, ein Seminar über Vietnam abzuhalten. Und so reist er ein zweitesmal in die Vereinigten Staaten – drei Monate sind für die Reise geplant.
Dort angekommen, hält Alfred Hassler für ihn ausserhalb seines Lehrauftrags an der Universität ein umfangreiches Programm bereit, denn er will ihn mit möglichst vielen bedeutenden Persönlichkeiten bekannt machen. Anlässlich einer Pressekonferenz im Anschluss eines Gesprächs mit Martin Luther King jr. am 1. Juni 1966 erhebt Thích Nhất Hạnh fünf Forderungen an die USA, darunter die zentrale Forderung, sofort alle Bombardements einzustellen. Diese klaren Worte werden von der amerikanischen Presse aufgegriffen und in der Folge finden einige bedeutsame Begegnungen statt, so zum Beispiel mit dem Mönch Thomas Merton und mit den Senatoren Fullbright und Kennedy. Schließlich reist Thay in der Begleitung von Hassler auch nach Europa. Er fordert Papst Paul VI. auf, nach Hanoi oder Saigon zu reisen und so ein Zeichen für den Frieden zu setzen.
Seine auf der Pressekonferenz geäusserten Worte zeigen in seiner Heimat hingegen eine fatale Wirkung: Für die Regierung in Südvietnam bedeutet Pazifist sein, dass man sich dem Kommunismus ausliefert, für die Regierung in Nordvietnam ist er ein Kollaborateur der Amerikaner. Er wird im ganzen Land als Verräter bezeichnet und kann von jetzt an nur noch unter Lebensgefahr in seine Heimat zurückkehren.
Der Neuanfang
Auch Martin Luther King jr. spricht sich von dem Moment der Begegnung mit Thích Nhất Hạnh öffentlich gegen den Vietnamkrieg aus. Da viele Menschen seine Reden hören, kommt es wenige Tage, nachdem er am 4. April 1967 darüber eine Predigt gehalten hat, in New York zu einer Friedensdemonstration mit über 100.000 Menschen. Bis zum Jahr 1968 steigern sich die Demonstrationen in Amerika und die Jugend, die allabendlich die Bilder des Krieges im Fernsehen sieht, verweigert den Dienst an der Waffe ebenso wie die althergebrachten Moralvorstellungen. – Es scheint, dass der revolutionäre Geist der 68er Jahre in Amerika wie in Europa ganz wesentlich mit den Vorgängen um den Vietnamkrieg zusammenhängt. Im Mai 1968 beginnen in Paris erste Friedensverhandlungen.
Am 4. April 1968, genau ein Jahr nach seiner großartigen Predigt, wird Martin Luther King jr. ermordet. Nur wenige wissen bis heute, dass er auf einer Liste der CIA als höchst staatsgefährdend eingestuft worden war.² Thay, der aus Schmerz über das unfassbare Ereignis tagelang nichts isst und nicht schläft, realisiert nun auch langsam, dass es nicht absehbar ist, wann er in seine Heimat zurück kehren kann und dass er vollkommen von vorn beginnen muss. Er beschließt, nach Hongkong zu reisen, um sich dort mit Phuong zu treffen. Deren Dasein ist in der Zwischenzeit immer gefährlicher geworden. Wegen ihrer mutigen Aktionen ist sie mehrmals verhaftet worden, aber ihr starker Glauben hat immer wieder dazu geführt, dass sie glimpflich davon gekommen ist. Als Thay ihr den Vorschlag unterbreitet, direkt mit ihm zusammen zu arbeiten und eine authentische Stimme im Westen zu sein für die armen Bauern, die das eigentliche Opfer des Krieges sind, stimmt sie nach einigem Überlegen zu. Sie beantragt ein Visum für Frankreich und reist Anfang des Jahres 1969 nach Frankreich.
Im Jahr 1970 erhält Thích Nhất Hạnh in Frankreich den Status eines politischen Flüchtlings zuerkannt und er entschließt sich in diesem Land neu anzufangen und nicht in Amerika, wo er zwar mittlerweile viele gute Bekannte hat, aber wo die Verwicklung mit dem Krieg in seinem Heimatland zugleich so stark ist. In Frankreich gehen derweil die Friedensverhandlungen weiter und es finden verschiedene Aktionen auch von buddhistischer Seite statt, wenn auch die buddhistische Delegation unter der Leitung von Thích Nhất Hạnh nicht am Verhandlungstisch zugelassen wird.
Erster Wirkungsort ist ein kleines Büro in Paris, wo Thay und Phuong fortan Gäste aus aller Welt empfangen und den Kontakt zu Vietnam halten. Regelmäßig geben sie einen Informationsbrief in drei Sprachen, Englisch, Französisch und Vietnamesisch, heraus. Es kommen viele Menschen, die am Schicksal Vietnams Anteil nehmen und es bildet sich ein großes Netzwerk von tausenden von Freiwilligen. Zudem unterrichtet Thay mehrmals die Woche Geschichte des Buddhismus an der Sorbonne und an einer weiteren Hochschule in Paris.
Eine überparteiliche Vision
Das Besondere an dem Einsatz von Thích Nhất Hạnh für den Frieden ist seine Vision, die bei Weitem eine bloße Parteinahme für die eine oder andere Kriegspartei überschreitet. Thay erstrebt mit all seinen Bemühungen einen totalen Sieg des Friedens selbst, der eine Versöhnung zwischen Nord- und Südvietnam ebenso beinhaltet wie eine Versöhnung zwischen Ost und West und nicht zuletzt eine Versöhnung jedes Einzelnen mit seinen persönlichen Lebensbedingungen.
Diese große Vision treibt ihn an, im Jahr 1971 in einem groß angelegten ökologischen Aufruf, für den über 5000 Unterschriften von Biologen und Ökologen gesammelt wurden, auf die Zusammenhänge zwischen dem Krieg, der Zerstörung der Umwelt und der Armut der Menschen hinzuweisen. Diese sogenannte Botschaft von Menton wird zu einem wichtigen Impuls und im Folgejahr berufen die Vereinten Nationen die erste Weltumweltkonferenz ein .
Aber diese große überparteiliche Vision führt auch dazu, dass er, bzw. die von ihm angeführte buddhistische vietnamesische Delegation immer wieder ausgegrenzt wird, zuerst von den beiden verfeindeten Parteien seines eigenen Landes, dann aber auch von der Friedensbewegung selbst, die in den USA bisweilen militante Züge annimmt, wobei die Wahrnehmung für die reale Situation verloren geht. Denn die vietnamesischen Bauern leiden unter dem Bombenhagel, sie leiden aber auch zugleich unter dem Kommunismus, der alles Religiöse zu ersticken versucht.
Wer ist im Vietnamkrieg der Böse? Für mich sind die Banditen jene, die bequem im Weißen Haus, im Kreml und in Peking sitzen, die Waffen und Ideologien liefern und die Wahrheit kaschieren, während sie den Befehl geben, junge Leute einzuziehen, die dann getötet werden. Für uns sind „die vergewaltigten jungen Mädchen“ (Vergleich, den sein Gesprächspartner gebraucht hatte) nicht nur die unschuldigen Bauern ohne eigene Stimme, sondern auch die Soldaten auf beiden Seiten und die amerikanischen Militärs, die keine Ahnung von der Geschichte und der Wirklichkeit Vietnams haben.³
Der Krieg dauert bis zum April 1975 und kostet das Leben von 3 Millionen Vietnamesen sowie 57.000 Amerikanern. 40.000 der zurückkehrenden Soldaten sind während der Kriegsjahre heroinabhängig geworden.
Das Dorf der Pflaumenbäume
Im Jahr 1973 stellt Thay einen Visumsantrag für einen Besuch in seinem Heimatland, aber es wird bis zum Jahr 2005 dauern, bis ihm dieser Wunsch erfüllt werden wird. Seine große Vision soll auf eine andere Weise wirksam werden. Während Phuong zunächst weiterhin von Montag bis Freitag in Paris weilt, wo sie sich vielseitigen strategischen Verhandlungen und organisatorischen Aufgaben widmet, ist Thay dazu übergegangen, in einem Landhaus ausserhalb Paris zu wohnen, wohin auch zunehmend mehr Gäste kommen. Das ländliche Umfeld ermöglicht es, dass abgesehen von den sozialen Aktivitäten für die vielen Kriegsflüchtlinge, die Menschen an spirituellen Unterweisungen teilnehmen können, gemeinsame Gehmeditationen machen, von Thay verfasste Gedichte singen, die man wegen ihrer Schönheit vertont hat, und die Abende mit einer voller Achtsamkeit eingenommenen Tasse Tee und einer Meditation beschließen können.
Auch seine Bücher, an denen er kontinuierlich arbeitet, tragen zu seinem internationalen Renommee bei und im Jahr 1982 ist es so weit, dass das Landhaus zu klein wird und er sich zusammen mit Phuong auf die Suche nach einem geeigneten größeren Gebäude macht. So entsteht schließlich im Departement Dordogne im Südwesten von Frankreich das „Plum Village“, das Dorf der Pflaumenbäume, benannt nach 1250 Pflaumenbäumen, die Thay anstelle der vom Frost zerstörten Weinpflanzen anbauen lässt. Die Gäste, die dort zwischen einigen Tagen und einigen Monaten bleiben, sind vietnamesische Flüchtlingsfamilien, westliche praktizierende Buddhisten, amerikanische Kriegsveteranen sowie Leser der Bücher Thays.
Das intensive Gemeinschaftsleben erfordert gewisse Regelungen, worin Thay aber wiederum eigene Wege geht. So sind Männer und Frauen ebenso gleichberechtigt wie Mönche, Nonnen und Laien. Es wird dort viel nach dem Selbstversorgerprinzip gearbeitet, während mehrmals täglich die Achtsamkeitsglocke zur Unterbrechung der Arbeit und zum meditativen Innehalten aufruft. Zudem führt Thay Ordinationen für Mönche und Nonnen durch, die der Gemeinschaft auf Dauer dienen möchten. In einer für jeden Laien zugänglichen Zeremonie verpflichtet man sich zur Pflege der Fünf Achtsamkeitsübungen4, während es für die Mönche und Nonnen des von ihm gegründeten Ordens Intersein Vierzehn Achtsamkeitsübungen gibt. Thay hat bei seinen praktischen Anweisungen und bei seinem Lehren immer die Menschen des Westens im Blick, denn er hat erkannt, wie sehr sie eine tiefere spirituelle Sicht für ihr Leben brauchen. Aus den 100 Gästen im ersten Jahr von Plum Village werden es schon wenige Jahre später 1000 Menschen sein, die spirituelle Vertiefung oder auch seelische Heilung in der Gemeinschaft suchen.
Internationale Berühmtheit
Während der Aufbaujahre in Plum Village setzt Thay sein Werk als Buchautor fort. Heute sind über 100 Bücher auf dem Markt, die jeweils bestimmte Aspekte des Lebens und der Achtsamkeitspraxis veranschaulichen. Die ernsthafte Praxis der Fünf Achtsamkeitsübungen stellt letztlich auch die Summe seines Lehrens dar. Für den Tagesablauf in Plum Village reformiert er immer wieder die buddhistischen traditionellen Zeremonien und passt sie dem Wesen der westlichen Menschen an. Nachdem er im Jahr 1995 von Gorbatschow zum ersten State of the World Forum nach San Francisco eingeladen wird, stellt sich eine Phase internationaler Berühmtheit im Leben von Thích Nhất Hạnh ein und er beginnt eine rege Reisetätigkeit in viele Länder.
Ein Höhepunkt dabei ist – meiner Einschätzung nach – das Gespräch in der berühmtesten Talkshow der USA mit Oprah Winfrey im März 2010. Das Video mit einem Ausschnitt des Gesprächs wurde 2013 von Plum Village auf youtube hochgeladen und hat über 4 Millionen Aufrufe. Wenn man bedenkt, wie sehr sein Land und somit auch Thay unter dem Agieren der USA gelitten hat, zeugt seine Haltung, mit der er in einfachen Worten eine Art Mantra der Versöhnung formuliert, von einer beindruckenden menschlichen Größe. In der Tat hat er mit seiner Lehre der Achtsamkeit der gesamten westlichen Welt einen großartigen Beitrag gezollt und man darf nicht vergessen, dass all seine Bemühungen dem Wunsch, nach wahrem Frieden in der Welt beizutragen, entspringen.
Angst, Ärger und Verzweiflung entstehen aufgrund von falscher Wahrnehmung. Wir haben falsche Wahrnehmungen bezüglich uns selbst und der anderen Person und das ist die Grundlage für Konflikte, Krieg und Gewalt. 5
Seine letzte – schriftliche – Äusserung in der Öffentlichkeit betrifft ein Treffen im Vatikan zum Thema der Flüchtlingskrise im Dezember 2014, wo er dazu auffordert, nach den Ursachen für die Flüchtlingsströme zu forschen, damit man wirksame Maßnahmen dagegen anwenden könne. 6 Auch diese Äusserung wiegt schwer angesichts der Tatsache, dass er nur wenige Wochen zuvor, am 11. November 2014 eine schwere Hirnblutung erlitten hat. Das Sprachzentrum ist davon betroffen und es beginnt für ihn eine lange Phase der Regenerierungsarbeit, nachdem er im April 2015 die Klinik verlassen kann.
Die Wurzeln sind in Vietnam
Während der Arbeit an der Biografie frage ich mich immer wieder, welche Bedeutung wohl mit dem Leben von Thích Nhất Hạnh verknüpft ist. Mir scheint, dass die Ereignisse in Vietnam mehr als deutlich Aufschluss darüber geben, dass Thay eine spirituell bedeutsame Rolle für sein Heimatland spielt. Während seines Exils hat er niemals aufgehört, an Vietnam und die leidenden Menschen dort zu denken. Als er nach der Beendigung des Krieges mitansehen musste, wie die kommunistische Regierung sich abschottet und wie ihre Repressalien gegen Intellektuelle, Ingenieure, Ärzte, Künstler und Buddhisten von der internationalen Presse ignoriert werden, alarmieren Thay und Phuong zusammen verschiedene Regierungen so lange, bis sich eine internationale Kommission mit der Situation in dem Land befasst.
Und endlich – im Jahr 2005 ist es soweit: Thay bekommt ein Visum und darf seiner Heimat einen Besuch abstatten. Es folgen drei weitere Reisen in den folgenden Jahren, aber nachdem er im Jahr 2008 dem vietnamesischen Regierungspräsidenten vorschlägt, die Kontrolle der buddhistischen Kirche abzumildern und die Religiöse Polizei aufzulösen, wendet sich das Blatt erneut. Dem Kloster Bat Nha, wo er Retreats und Vorträge abgehalten hat, werden zunehmend Einschränkungen auferlegt und im Jahr 2009 wird es auf Bestreben der Regierung komplett zerschlagen, alle Mönche und Nonnen müssen flüchten. Dieses Verhalten zeigt meines Erachtens, wie sehr die Regierung den Einfluss dieses Mönchs, der ja „nur“ den Frieden unter allen Menschen anstrebt, fürchtet. Dort wo ungerechte Machtverhältnisse herrschen, ist diese Befürchtung natürlich berechtigt, denn Menschen, die durch die Achtsamkeitspraxis stark und zentriert in ihrem Inneren werden, würden sich nicht mehr so leicht ungerechten Strukturen fügen.
Und so dauert es weitere 10 Jahre, bis zum 26.10.2018, dass der 92-jährige, von der Krankheit gezeichnete Thích Nhất Hạnh erneut die Erlaubnis zur Einreise in sein Heimatland erhält – diesmal, um für immer zu bleiben und seinen Lebensabend dort zu verbringen, wo seine Wurzeln sind. 7
Zum Teil I der Biographie von Thich Nhat Hanh
Textquellen und Anmerkungen:
(1) Céline Chadelat, Bernard Baudoin, Thich Nhat Hanh, Ein Leben in Achtsamkeit, Lotos Verlag 2017, ISBN 9783778782736 (THI), S. 99
(2) Edward Snowden, Krieg der Geheimdienste gegen die Demokratie, http://www.kontext-tv.de/de/sendungen/edward-snowden-krieg-der-geheimdienste-gegen-die-demokratie
(3) THI, S. 160/161
(4) Die fünf Achtsamkeitsübungen nach Zenmeister Thich Nhat Hanh, http://www.phathue.de/newsletter/fuenf-achtsamkeitsubungen/
(5) Oprah Winfrey talks with Thich Nhat Hanh Excerpt – Powerful, https://www.youtube.com/watch?v=NJ9UtuWfs3U
(6) Thich Nhat Hanh’s Speech at the Vatican, December 2, 2014, https://plumvillage.org/news/thich-nhat-hanhs-speech-at-the-vatican-december-2-2014/
(7) English Translation of Thay’s letter to Root Temple Descendants, October 2018, https://plumvillage.org/letters-from-thay/tnh-letter-to-root-temple-descendants/
Bildnachweis (19-07-07): Vietnam-Bild von Sasin Tipchai auf pixabay, Denkmal-plumvillage.org, Gehmeditation-amazon.de, Pflaumenbaum-Bild von congerdesign auf pixabay
Sehr spannender Bericht! Bin unlängst nach der Lektüre von V. Rationis „Warum Mönche meditieren müssen“ nachdenklich geworden, warum die Meditationslehrer fast immer Männer sind, die asexuell leben?
Vielleicht eine Anregung für einen zukünftigen Blogartikel?
LG Irene
Hallo Irene,
der Aufsatz von Victoria Rationi berührt tatsächlich wichtige und diskutierenswerte, aktuelle Aspekte. Hier möchte ich zunächst aber nur Thich Nhat Hanh gewissermaßen verteidigen, da ich mir anlässlich seiner Lebensgeschichte nicht vorstellen kann, dass er die Sexualität verdrängt hat. Es war ja gerade seine tägliche meditative Übung, sich allen Eindrücken des Lebens zu stellen und er musste sich sehr vielen, sehr schrecklichen Erfahrungen stellen.
Victoria Rationi nennt auch gewisse Kriterien wie zum Beispiel ein soziales Engagement, dass man bei ihm zu 100% bestätigen muss. In dieser Hinsicht war er ja ein Revolutionär innerhalb seiner Klosterhierarchie, indem er die Augen vor seiner Umwelt nicht verschlossen hat. Ein weiterer Punkt, der mir in der Biographie auffällt, ist die enge Verbindung mit der späteren Nonne Phuong. Ich habe überhaupt keine Schwierigkeiten dabei, mir vorzustellen, dass hier ein weiblicher und ein männlicher Anteil für eine große Aufgabe – den Frieden für Vietnam und für die ganze Welt – zusammen gewirkt haben und dass es angesichts dieser hohen Zielsetzung für beide möglich war, die sexuelle Energie zu transformieren. Ich bin sicher, dass, wie bei allen großen Männern der Geschichte, das Werk von Thich Nhat Hanh ohne die weibliche Unterstützung von Phuong nicht möglich gewesen wäre. In der Yoga-Tradition ist es bekannt, dass die sexuelle Energie von dem rein physischen Bedürfnis sublimiert werden kann zu Formen der Erotik, der wahren Freundschaft und der tiefen Wertschätzung und Verantwortung füreinander.
Nun gehört Thich Nhat Hanh natürlich zu den herausragenden Persönlichkeiten der Gegenwart und er kommt aus einer komplett anderen Kultur des bäuerlichen und buddhistischen Vietnam. Insofern würde ich Victoria Rationi auch zustimmen, dass klösterliche Keuschheit wohl für die wenigsten Menschen des westlich-modernen Kulturkreis ein sinnvolles Ideal ist, schlicht und einfach, weil es eine zu hohe Anforderung darstellt. Sinn und Zweck der Meditation kann man aber davon durchaus unabhängig sehen, und hier müsste nun der „zukünftige Blogartikel“ her, um das näher auszuführen.
Soweit vorerst einmal eine Antwort,
Alina