Rezension der Sammlung von Reden und Gesprächen mit Jiddu Krishnamurti.
Jiddu Krishnamurti hat sich geweigert, die ihm von den Theosophen zugedachte Rolle als neuer Weltenheiland einzunehmen. Die solide Ausbildung in esoterischen Fragen und auch im Hinblick auf die Redekunst, die er unter der Anleitung von Charles Webster Leadbeater genossen hat, war ihm aber sicher sehr hilfreich auf seinem weiteren Lebensweg. So ist er letztlich ein berühmter Redner und Weisheitslehrer geworden und hat dennoch eine von Gruppierungen unabhängige Position bewahrt. In dem vorliegenden Buch sind Reden und Gespräche aus verschiedenen Jahren und zu verschiedenen Themen zusammengestellt. Die Vielfalt der Themen in dieser Sammlung eröffnet dem Leser eine Ahnung darüber, wie eine meditative, also betrachtende Lebenshaltung tatsächlich alle Lebensbereiche erfasst und sie nach den tieferen Hintergründen beleuchten möchte.
Der erste Teil befasst sich mit den Themen Freiheit, Zersplitterung und Meditation. Im zweiten Teil werden Fragen des sozialen Lebens und des Zusammenlebens unter Menschen erörtert. Der dritte Abschnitt stellt die Frage nach dem Transzendenten und im Zusammenhang damit dem Phänomen der Angst. Und der vierte Abschnitt widmet sich Fragen, die die Entwicklung des Menschen betreffen, wie der Wunsch nach Wandlung, die Entwicklung von Achtsamkeit und das Phänomen der Gewalt.
Zeitlose Reden und Gespräche
Die Worte sind meines Erachtens deshalb so lebendig und bis heute aktuell, weil Krishnamurti nicht bloß intellektuell reflektieren möchte, sondern zusammen mit den Zuhörern im unmittelbaren Austausch in die Realität der jeweiligen Thematik eindringen möchte. Diese suchende, forschende und fragende Haltung muss nicht einmal immer zu einer definitiven Antwort führen. Ein Beispiel für diesen Redestil mag der folgende Abschnitt sein:
Welche Rolle spielt Schlaf in der Meditation und im Leben? Das ist eine recht interessante Frage.Wenn Sie sich selbst eingehender mit ihr beschäftigt haben, werden Sie vielleicht vieles entdeckt haben….Wir sagten, der Geist, das Gehirn muss den ganzen Tag über vollkommen achtsam sein – aufmerksam sein, sowohl für das innere wie für das äußere Geschehen -, sich der inneren Reaktionen auf die vom Äußeren hervorgerufenen Anspannungen bewusst sein, aufmerksam sein für die Andeutungen des Unbewussten – und dann am Ende des Tages muss es alles abschließend in Betracht ziehen. Wenn Sie nämlich nicht am Ende jeden Tages alles, was geschehen ist, abschließend betrachten, dann wirfd Ihr Gehirn in der Nacht arbeiten müssen, während Sie schlafen, um Ordnung bei sich zu schaffen – das ist offensichtlich. Haben Sie dies jedoch tagsüber getan, dann lernen Sie im Schlaf etwas völlig Andersartiges, Sie lernen in einer völlig anderen Dimension. Und das ist Teil der Meditation.
Meditation ist bei Krishnamurti folglich nicht eine Methode des regelmäßigen Stillsitzens und sich Zurückziehens, sondern vielmehr ein Bestandteil des Lebens. Und so wird er nicht müde, immer wieder festgefahrene Denkmodelle aufzulösen, zu erweitern und zu vertiefen. Versucht man, den philosophischen Standort des Autors zu benennen, so wäre dies wohl das herausragendste Merkmal. Ein Standpunkt, der alle Regeln, Autoritäten und festen Dogmen in Frage stellt. Gleichzeitig bietet er keine simple Alternative, sondern regt seine Zuhörer zum eigenständigen Suchen an.
Die Lektüre dieses Buches empfiehlt sich für all jene Personen, die offen und auf der Suche nach einer meditativen Vertiefung des Lebens sind.
Spiritueller Wert 5/5
Praktischer Wert 3/5
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Jiddu Krishnamurti, Der Flug des Adlers, Reden und Gespräche, 176 Seiten, Taschenbuch, Fischer Taschenbuch Verlag, 3. Auflage 2007, ISBN 978-3-596-14637-6.
Bildquellen (17-09-28): Amazon, yoga-vidya.de