Wie rezitiert man das bija-mantra VAM, वं ? Was ist seine Bedeutung?
Audio-Aufnahme des sogenannten Keim-Mantra (bija-mantra) VAM zum Anhören und zum Selbst-rezitieren. Die Silbe, oder besser gesagt, der Buchstabe VAM ist das Keim-Mantra des zweiten Energiezentrums, svādhiṣṭhāna cakra. Nach den Regeln des Sanskrit folgt jedem Konsonanten automatisch der Vokal A und wenn ein männlicher Laut für sich stehend, also nicht in einem Satzgefüge, geäußert wird, so endet er mit einem nasalen M, genannt anusvāra. Daher kommt es, dass ein Keim-Mantra oft als einsilbiges Wort erscheint, im Grunde aber den Charakter eines einzelnen Buchstaben trägt. Das V wird im Sanskrit außerdem den sogenannten Halbvokalen zugeordnet.
VAM als Teil des mystischen Chakra-Diagramms, des Yantra
Der Laut VAM befindet sich im Zentrum des zum svādhiṣṭhāna-cakra gehörenden Yantra-Symbols. Nach M.P. Pandit (1) ist dieses Zentrum vom Element des Wassers gekennzeichnet und so nennt man es auch „die weiße Varuna-Region“. Varuna ist der Gott des Meeres, der auf einem weißen makara reitet, einem mythischen, drachenähnlichen Tier. Das charakteristische Zeichen oder Mandala des Wasser-Elements zeigt die Form eines Halbmonds und ist weiß. Auf den sechs Blütenblättern befinden sich weitere Laute aus dem Sanskrit-Alphabet und zwar BA, BHA, MA, YA, RA und LA, das sind nach der Sanskrit-Grammatik die übrigen Halbvokale (ya, ra, la) und die stimmhaften Labiallaute (ba, bha, ma).
VAM als unmittelbarer Ausdruck des Äthers
Die indische Philosophie unterscheidet zwischen grobstofflichen Elementen, den mahābhūta, und feinstofflichen Elementen, den tanmātra. VAM ist gemäß der Chakra-Symbolik der Laut des grobstofflichen Elementes Wasser. Die weiteren grobstofflichen Elemente sind nach der Yoga-Philosophie Erde, Luft, Feuer und Äther. (2)
Die feinstofflichen Elemente berühren bereits mehr die seelische Ebene im Menschen und so habe ich in einer Seminarmitschrift eines Japa-Yoga-Seminars die Erläuterung gefunden: „Der Buchstabe V entspricht dem sakralen Bewusstsein, er ist unmittelbarer Ausdruck des Äthers.“ Auf der Suche nach einer Interpretation dieser Aussage bin ich auf Rudolf Steiner gestoßen, der die Kräfte, die den Ätherleib des Menschen konstituieren, als Sonnenkräfte bezeichnet. (3) Der Ätherleib mit seinem Fließen und Strömen der Energien folgt demnach der Charakteristik des Wasserelements, während er in seelischer Hinsicht ein Ausdruck von Kräften ist, die ihren Ursprung in der Sonne nehmen. Ein „sakrales“ Bewusstsein ist in diesem Sinne zu verstehen als ein Bewusstsein der höheren, sonnenhaften Natur des Menschen, die sich über das instinktive, animalische, triebhafte Naturell hinaushebt.
Diese Interpretation der Silbe VAM deckt sich mit der indischen Philosophie insofern, als der Gott Varuna nach Wikipedia in den frühesten Schichten des Rigveda (älteste Schrift der Veden) derjenige Gott ist, der als Wächter über das moralische Gesetz fungiert, der diejenigen bestraft, die ohne Gewissensbisse sündigen und der denjenigen vergibt, die ihren Irrtum bereuen. (4)
Hinweise zur Mantra-Rezitation
Während der Rezitation von VAM kann man sich das lebendige, die Gesundheit des Menschen fördernde Strömen des Äther-Wasser-Elements vorstellen oder man stellt sich vor, wie der Ton aus den tiefen Bauchzonen seinen Ausgang nimmt. VAM eignet sich auch sehr gut als rezitative Begleitung der statischen Phase in upaviṣṭa koṇāsana, der weiten Dehnung der Beine. Diese Yoga-Asana ist charakteristisch für das zweite Energiezentrum.
Textquellen:
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M.P. Pandit,Kundalini Yoga, Drei-Eichen-Verlag München 1985, ISBN 3769904400
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Swami Sivananda, Japa Yoga, YogaVidya Verlag Bad Meinberg 2010, ISBN 9783931854256
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Rudolf Steiner, GA 58, Metamorphosen des Seelenlebens
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https://en.wikipedia.org/wiki/Varuna
Bildquellen:
nl.wikipedia.org, en.wiktionary.org